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Öffnet den Himmel

Öffnet den Himmel

Titel: Öffnet den Himmel
Autoren: Robert Silverberg
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mit den anderen nach vorn zu strömen und vor dem glühenden Reaktor niederzuknien.
    Der Gedanke betäubte und erschreckte ihn.
    Wie hatte es ihn übermannen können? Das hier war doch keine Religion. Dies war ein Kult, eine Bewegung, die wie ein Buschfeuer aufflackerte, die neueste Marotte, heute in aller Munde und morgen vergessen. Zehn Millionen Konvertierungen über Nacht? Na und? Morgen oder übermorgen würde der nächste Prophet auf den Plan treten, der die Gläubigen dazu ermahnte, die Hände gemeinsam in das funkelnde Bad eines Springbrunnens zu stecken; dann würde die Vorster-Halle vergessen und verlassen sein. Dies hier war nicht der Fels, auf den die Kirche gebaut werden sollte, dies hier war Treibsand.
    Und dennoch hatte ihn kurz dieser Drang gefesselt.
    Kirby preßte die Lippen zusammen. Es lag sicher an dem Streß, dachte er, diesen ungezügelten Marsianer den ganzen Abend lang herumzuführen. Diese erhabene Harmonie war ihm schnurzegal. Die fundamentale Einheit aller Dinge tangierte ihn wenig. Dies war ein Ort für die Müden, die Neurotiker, die Süchtigen nach allem Neuen, für die Typen, die mit Freuden gutes Geld dafür bezahlten, die Ohren ab- und die Nasenlöcher aufgeschnitten zu bekommen. Und es war nur ein allzu deutliches Zeichen seiner eigenen Erschöpfung, wenn er fast dazu bereit gewesen war, sich mit den Kommunizierenden am Altar zusammenzutun.
    Er entspannte sich.
    Und im gleichen Moment sprang Nat Weiner auf die Füße und stürmte blindlings den Seitengang hinunter.
    „Knie mit uns nieder, Bruder“, sagte der Vorster-Priester sanft.
    „Ich bin ein Sünder!“ heulte Weiner. „Ich stecke voller Schnaps und Korruption! Ich muß errettet werden! Ich verehre das Elektron! Ich will mich ihm schenken!“
    Kirby eilte ihm auf dem Seitengang nach. Meinte Weiner das ernst? Die Marsianer waren sprichwörtlich dafür bekannt, sich gegen jede Art von Religion zur Wehr zu setzen, selbst gegen die etablierten und gesetzlich anerkannten Kirchen. War er irgendwie vor diesem teuflischen blauen Glühen weich geworden?
    „Ergreift die Hände eurer Brüder“, murmelte der Priester. „Senkt den Kopf und laßt euch vom Glühen umschließen.“
    Weiner sah nach links. Das Mädchen mit den chirurgischen Veränderungen kniete neben ihm. Sie streckte ihre Hand aus. Vier Finger waren aus Fleisch, einer bestand aus einem türkisfarbenen Metall.
    „Ein Monster!“ kreischte Weiner. „Nehmt es weg! Ich will nicht, daß es mich aufschlitzt!“
    „Beruhige dich, Bruder …“
    „Ihr seid ein Haufen Irrer! Irre! Irre! Irre! Nichts als ein Pack von …“
    Kirby erreichte ihn. Er preßte eine Fingerspitzen so in die hervortretenden Muskeln auf Weiners Rücken, daß der Marsianer ihn bemerken mußte, selbst in seinem volltrunkenen Zustand.
    Mit leiser, intensiver Stimme sagte Kirby. „Lassen Sie uns gehen, Nat. Wir müssen hier raus.“
    „Nimm deine stinkigen Flossen von mir, Erdling!“
    „Nat, bitte – dies ist ein Haus der Andacht …“
    „Dies ist ein Irrenhaus! Verrückt! Übergeschnappt! Plemm-plemm! Sehen Sie sich die bloß mal an! Liegen auf den Knien wie gottserbärmliche Mondsüchtige!“ Weiner rappelte sich auf. Seine brüllende Stimme schien die Wände zerschmettern zu wollen. „Ich bin ein freier Bürger des Mars! Mit diesen Händen wühle ich die Wüste um! Ich habe gesehen, wie die Ozeane sich mit Wasser füllten! Was habt ihr schon getan? Ihr schneidet euch die Lider ab und wälzt euch im Dreck! Und du – du scheinheiliger Priester, du knöpfst ihnen ihr Geld ab und hast deinen Spaß daran!“
    Der Marsianer stützte sich auf die Altarabsperrung und schwang sich hinüber. Er kam dem glühenden Reaktor gefährlich nahe und verkrallte sich in dem emporragenden, bärtigen Vorster.
    Ganz ruhig streckte der Priester einen langen Arm in das wirbelnde Chaos von Weiners aufgebrachten Gliedern hinein. Für den Bruchteil einer Sekunde berührten seine Fingerspitzen die Kehle des Marsianers.
    Weiner stürzte wie tot zu Boden.

 
3
     
     
     
    „Geht es Ihnen jetzt wieder besser?“ fragte Kirby mit trockener Kehle.
    Weiner rührte sich. „Wo ist das Mädchen?“
    „Die mit den chirurgischen Veränderungen?“
    „Nein“, krächzte er. „Die Esperin. Ich möchte sie gerne wieder in meiner Nähe haben.“
    Kirby warf dem schlanken, blauhaarigen Mädchen einen Blick zu. Sie nickte fest und ergriff Weiners Hand. Das Gesicht des Marsianers glänzte vor Schweiß, und seine Augen waren noch
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