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Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder

Titel: Odo und Lupus 05 - Pilger und Mörder
Autoren: Robert Gordian
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nennen. Ganz hinten hockte auf unserem Gepäckwagen Rouhfaz, unser Diener und Schreiber, dünn wie ein Faden und kahl wie ein Wurm, schreiend und mit der Gerte sein Pferd peitschend, um nicht zurückzufallen. In einer gewaltigen Staubwolke, die zwischen den Resten des seit dem Rückzug der letzten Cäsaren nicht mehr erneuerten Straßenpflasters aufstieg, preschten wir über die Hauptstraße.
    Unser Ritt wurde jäh gestoppt, als wir das Alte Forum erreichten. Es unterbricht die Straße, welche die ganze Stadt durchschneidet, etwa auf halber Länge. Mir war schon aufgefallen, daß unterwegs nur wenige Bewohner der Stadt von unserem geräuschvollen Einzug Kenntnis genommen hatten. Eigentlich waren es nur ein paar Mägde, die vom Brunnen kamen und aufkreischend sich und den Inhalt ihrer Krüge in Sicherheit brachten. Sonst hatten uns nur Hunde, Gänse und Hühner begrüßt.
    Die Erklärung lag darin, daß sich fast die gesamte Bevölkerung auf dem Platz drängte, wo die Gerichtsversammlung stattfand. Die Menge stand Kopf an Kopf, und es war völlig unmöglich, für unseren Trupp eine Gasse freizubekommen. Notgedrungen saßen wir ab. Ich schlug vor, daß Odo und ich versuchten, zu Fuß bis zu der Kolonnade vorzudringen, wo sich das Hauptgeschehen abspielte. Mein Freund war einverstanden. Wir übergaben den anderen unsere Reittiere und befahlen ihnen, auf uns zu warten. Mit einem barschen „Platz gemacht – Abgesandte des Königs!“ stieß Odo vor, ich folgte, die Ellbogen kräftig gebrauchend, in seinem Rücken, und wir begannen, uns zwischen Schultern, Bäuchen und Lenden, die uns nur widerstrebend Raum gaben, hindurchzuzwängen. So gelangten wir immerhin bis zur Mitte des Forums. Jetzt kamen wir auch mit Knüffen und Rippenstößen nicht weiter. Doch konnte man hier alles sehen und hören, und wir beschlossen, stehenzubleiben und uns erst einmal einen Eindruck zu verschaffen.
    Eine Gerichtsversammlung in den galloromanischen Teilen des Reiches, noch dazu auf einem städtischen Platz, hat nicht viel Ähnlichkeit mit dem altväterlichen Ritual auf dem germanischen Dinghügel. Hier wird das Recht nicht unter Eichen und Linden gesucht, und man hockt nicht im Gras zwischen Kuhfladen. Wie einst der römische Prokurator hatte der Comes Magnulf unter dem Dach der Kolonnade vor seinem Amtsgebäude Platz genommen. Um seinen Prunksessel drängten Schöffen, Schreiber, Amtsdiener. Auch seine Vasallen und Gefolgsleute waren um ihn versammelt, man sah Priester und Mönche unter den Säulen und sogar Frauen. Wer hier ein Amt ausübte, zu den Prozeßparteien gehörte, dingpflichtig war oder nur aus Neugier herumstand, war schwer auszumachen. Es gab auch keinen Sarg zu Füßen des Richters, nicht einmal ein Leibzeichen des Toten schien vorhanden zu sein. (Später erfuhren wir, daß der Bischof bereits am Vortag beerdigt worden war.) Alles in allem ging es hier also eher römisch als fränkisch zu. Das Publikum auf dem grünen Dinghügel besteht gewöhnlich nur aus adeligen und freien Männern – hier zwischen den Häusern aus Holz und Stein war alles vertreten: Edelleute und Bauern, Kaufherren, Handwerker unsicheren Standes, Mauren, Juden, vornehme Damen und grobe Marktweiber, Knechte und Bettler. Nebenan auf dem Dach der Bischofskirche hatten sich ein paar Kinder Vorzugsplätze gesichert.
    Seit wir den Platz betreten hatten, war eine scharfe, erregte, eifernde Stimme zu hören. Ringsum lauschte ihr alles mit offenen Mündern. Wir verstanden jetzt auch den Sinn der Worte und entdeckten den Mann, der sie ausstieß.
    Es war ein kleiner Kerl im Priesterhabit mit einem geröteten, karottenförmigen Schädel, aus dem ein spitzes Kinn und eine noch spitzere Nase hervorstachen. Auch seine Ohren waren spitz wie die eines Ziegenbocks. Er stand drei Schritte neben dem Richterstuhl, wandte sich aber mehr an die Menge als an den Comes. Grimassierend und mit den kurzen Armen rudernd rief er:
    „Und warum morden sie, frage ich euch? Die Antwort ist: weil sie schon immer gemordet haben! Sie müssen morden, sie können nicht anders, die Schurken! Spricht nicht schon die Apostelgeschichte von Verrätern und Mördern? Lehrt nicht bereits der heilige Cyprian, sie hätten den Teufel zum Erzeuger? Begingen sie nicht, wie unser Kirchenvater Origenes feststellt, das abscheulichste Verbrechen gegen den Retter des ganzen Menschengeschlechts, unsern Herrn Jesus Christus? So wie gewisse Tiere schädliches Gift besitzen, lehrt der große Johannes
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