Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt
Autoren: Gregg Hurwitz
Vom Netzwerk:
Henker mit ausdruckslosen Gesichtern. Verrones Arm war so ruhig wie der einer Statue. Ich konnte seinen Finger mit den weißen Knöcheln am Abzug sehen.
    Ich schloss die Augen und war allein in der Dunkelheit. Auf der Welt gab es nichts anderes mehr als den kalten Stahlring auf meiner Stirn.
    Dann ließ der Druck nach.
    Ich machte die Augen wieder auf. Verrone hatte die Waffe sinken lassen. Die Männer zogen sich zurück. DeWitt hatte die Lippen nach innen gezogen, als würde er mit aller Kraft darauf beißen. Einer der anderen setzte sich auf den Boden, und der Vierte trat wieder ans Fenster. Es schien, als wäre auf einmal ein Zauberbann gebrochen, und nun waren sie alle benommen und verstört.
    Mit wackligen Knien rappelte ich mich hoch. Auf einmal fiel mir auf, dass ich aus dem Hinterzimmer bis jetzt noch kein einziges Geräusch gehört hatte – weder einen Schrei noch Weinen. »Ist meine Frau hinter dieser Tür?«
    Doch sie standen einfach nur stumm herum.
    Ich musste die Tränen wegblinzeln.
»Ist sie noch am Leben?«
    Verrone nickte dem Mann am Fenster zu, und der griff nach dem Vorhang und riss ihn aus der Schiene. Jäh flutete das Licht in den Raum. Wir sahen Kameras und Schutzbrillen, Windschutzscheiben und Gewehrmündungen – die ganze Welt drängte sich dort draußen. Und wir starrten durchs Fenster zurück.
    Verrone, der von dem plötzlichen Lichteinfall geblendet wurde, blinzelte und hob die Hände. DeWitt und die beiden anderen Männer folgten seinem Beispiel.
    Als DeWitt die Arme hob, bemerkte ich ein dunkelrotes Rinnsal, das an seinem Unterarm entlanglief. Ein Tropfen schaffte es bis zum Ellbogen, wo er hängenblieb.
    Dann brach das Geschrei draußen plötzlich ab, und auch der Lärm von den Hubschraubern verstummte. Durch das Fenster sah ich einen Polizisten in sein Megafon schreien, ich sah seinen Mund und die Sehnen, die an seinem Hals hervortraten, aber ich hörte überhaupt kein Geräusch mehr.
    Das Einzige, was ich hörte, war mein Herzschlag, das erstickte Echo meiner geschrienen Worte: »Was haben Sie getan? Was haben Sie ihr angetan?«
    Dann schoss ich auf die geschlossene Tür zu, in hasserfüllter Zeitlupe. Im nächsten Moment trat das SWAT -Team die Tür ein – ich spürte die Vibration und die feinen Splitter der hölzernen Tür, die mir ins Genick regneten, während ein Bruchstück über meinen Kopf hinwegflog. Ich war nur noch zwei Meter von der Hintertür entfernt und schrie den Namen meiner Frau. Hinter mir hörte ich die Polizisten, spürte die Hitze ihrer Körper und die Luft, die sie mit ihren Gliedmaßen und ihren Schreien in Bewegung setzten. Jede Faser des Teppichs stand hoch, ein Meer aus Fasern, das sich zwischen mir und meiner Frau erstreckte. Ich streckte die Hand aus, auf der die Adern deutlich hervortraten. Irgendjemand trat mich gegen die Wade und brachte mich aus dem Gleichgewicht, aber ich fing mich wieder und stürzte erneut auf die Tür zu. Doch dann trafen mich die Schläge von zwei Polizisten und streckten mich nieder. Mein Kopf kollidierte mit einem Schuh, und ich wirbelte in eine Dunkelheit, die mein letztes bewusst aufgenommenes Bild auslöschte – diese Tür, diese immer noch verschlossene Tür, hinter der die blutigste Realität warten konnte.

[home]
    58
    I ch trete aus dem Büro der Fakultätsvorsitzenden der Loyola High School, überquere den grünen Rasen vor dem Gebäude und recke mein Gesicht der Sonne entgegen. Es ist Juli, mein liebster Monat. Jede düstere Stimmung ist verflogen. Obwohl Los Angeles sonst so eine ungeduldige Stadt ist, hat sie es gern, wenn der Sommer spät Einzug hält.
    In der Hand habe ich das schriftliche Angebot, Zehntklässler in amerikanischer Literatur zu unterrichten. Natürlich werde ich es annehmen, aber ich wollte es nicht gleich dort drinnen tun. Ich wollte die süße Vorfreude noch ausdehnen, als würde man die untere Hälfte von einem gefüllten Keks noch einmal beiseitelegen, um zuvor einen Schluck Milch zu trinken.
    Juristischen Ärger habe ich keinen mehr. Nach Tagen peinlichster Befragungen gelang es mir – mit Hilfe einiger kluger Anrufe, wie sie Gordon Kazakov so liebt –, mich von allen Anklagepunkten zu befreien. Detective Sally Richards hätte es wohl so gesagt: Ich hatte Gerechtigkeit, Wahrheit und diesen ganzen Mist eben auf meiner Seite. Und genaueste Überprüfung der Fakten hilft tatsächlich, wenn man unschuldig ist.
    Auch die Anklage wegen angeblicher Körperverletzung von Keith Conner wurde
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher