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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition)
Autoren: Seanan McGuire
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auf die Beine rappelte. Sein zweiter Tritt traf mich in die Brust und jagte stechende Schmerzen durch meine Rippen und mein Brustbein. »Sieh nur, was du angerichtet hast! Du hast sie umgebracht.« Jegliche Vernunft war aus seiner Stimme gewichen; er glaubte tatsächlich, was er sagte. Devin hatte den Abzug betätigt, trotzdem gab er mir die Schuld. An sich spielte es keine Rolle. Ich würde mir ohnehin genug Vorwürfe für uns beide machen.
    »Devi n … «, stieß ich keuchend hervor.
    »Halt die Klappe!« Das Ausmaß der Welt schrumpfte auf Devin, die Schmerzen und den stärker werdenden Geschmack von Rosen zusammen. Ich glaube, seine Welt war genauso klein geworden. Er hatte seine geistige Gesundheit im unüberschaubaren Gewirr der Wechselbalgzeit aufgegeben, und die Zusammensetzung seines Blutes hatte ihn an einen Punkt geschleudert, von dem es keine Rückkehr gab. Auf dem Zaun zu hocken ist nicht einfach. Manchmal bricht der Zaun und man fällt.
    Wir rechneten beide nicht mit dem Schuss. Devin hob eine Hand an die Brust, berührte den dort erblühenden Fleck und sah mich an, wobei sich seine Augen unvorstellbar weiteten. Seine Lippen bildeten Worte, die er nicht mehr hervorzubringen vermochte. Er knickte ein und fiel.
    Hinter ihm senkte Manuel nach wie vor weinend die Waffe.
    Der Geschmack von Rosen am Ansatz meiner Kehle würgte mich, gerade als er sich verflüchtigte. Mir war nicht bewusst gewesen, wie konstant er geworden war, bis er sich nun auflöste. Quälend langsam rappelte ich mich auf. Jeder Atemzug schmerzte, aber zumindest lebte ich noch. Manuel rührte sich nicht, als ich zu ihm ging, die Waffe aus seinen Fingern löste und sie zu Boden fallen ließ.
    Als sie aufprallte, hob er mit ausdrucksloser Miene den Kopf. »E r … e r … «
    »Pst. Ich weiß.«
    Ich legte die Arme um ihn und hielt ihn fest.

Kapitel 27
    F ast eine Viertelstunde standen wir so da, bevor ich zurücktrat und Manuel ansah. »Ist noch jemand hier?« Mit großen, vor Schock glasigen Augen starrte er mich an. So behutsam ich konnte, schüttelte ich ihn. »Manuel, ist noch jemand hier? Irgendjemand?«
    »E r … hat alle weggeschickt«, antwortete der Junge. »Er wusste, dass Sie kommen würden. Und er wollte niemanden hier haben, wenn Sie hier eintreffen.«
    Er hatte alle außer den beiden Kindern weggeschickt, an denen mir etwas lag. Ich schloss die Augen. Bis zu diesem Tag hatte ich nicht geahnt, dass er so abgrundtief böse sein konnte. »Komm, Manuel. Lass uns deine Habseligkeiten holen.«
    »Ich will sie nicht zurücklassen.«
    Ich blickte ihm wieder ins Gesicht und zwang mich zu einem Lächeln. »Du musst, Manny. Es ist an der Zeit, dass die Nachtschatten kommen, und das werden sie nicht tun, solange wir noch hier sind.«
    »Abe r … «
    »Komm.«
    Das Zimmer, das sich Dare und Manuel mit einem halben Dutzend von Devins anderen Kindern teilten, erwies sich als düster und chaotisch. Von der Mitte der Decke baumelten Hängematten herab, um zu verhindern, dass Matratzen den verfügbaren Platz auf dem Boden einnahmen. Der Anblick war mir vertraut genug, um höllisch zu schmerzen. Früher hatte ich mir ein solches Zimmer mit Mitch, Julie und einer ab und zu wechselnden Gruppe anderer Kinder geteilt. Wir alle hatten ständig um unsere kleinen Winkel und den Anschein von Würde gekämpft, der zu ein wenig »Privatsphäre« verhalf.
    Ich lehnte mich an die Wand und beobachtete, wie Manuel seine und Dares spärliche Habseligkeiten packte. Der hohle Widerhall der Schwingen der Nachtschatten flüsterte von der Vorderseite des Gebäudes aus auf den Flur herab und warnte die Lebenden, sich fernzuhalten; sie beschäftigten sich nur mit den Toten. Die Nachtschatten arbeiten schnell. Als Manuel mit einem Seesack in der einen und einem abgewetzten roten Koffer in der anderen Hand zur Tür zurückkam, war das Geräusch von Schwingen bereits verstummt.
    Mit nach wie vor glasigen Augen sah er mich an und fragte: »Wohin gehen wir?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Dass die Leichen vorne nunmehr menschlich wirkten, gestaltete es nicht einfacher, sie anzusehen. Ich zwang mich, die Augen auf die Tür gerichtet zu halten, und zog Manuel hinter mir her. Beim ersten Anblick des Ersatzkörpers seiner Schwester verstummte der Junge wieder völlig und zog sich in seinen Schockzustand zurück. Ich konnte ihm keinen Vorwurf daraus machen. Immerhin hatte er in derselben Nacht seine Schwester und seinen Lehrer verloren. Wer würde sich jetzt um ihn
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