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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition)
Autoren: Seanan McGuire
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meisten Zauber greifen während dieser Zeit einfach nicht. Unter anderem deshalb ist es so gefährlich, sich während des Sonnenaufgangs im Freien aufzuhalten. Die Gefahr der Entdeckung bleibt stets allgegenwärtig, und es ist keine gute Idee, Risiken einzugehen.
    Es hilft, dass die Menschen nicht mehr an Fae glauben, nicht einmal jene, die behaupten, sie täten es. Oh, sicher, sie mögen an Zeichentrickgeister und geschlechtslose Fantasiewesen glauben, aber nicht an echte Fae. Dafür gibt es Gründe, und einige davon sind sogar gut, aber es gibt auch Gründe dafür, dass sie ursprünglich sehr wohl geglaubt hatten. Der Sonnenaufgang zählt zu den letzteren. Er reißt unsere Trugbanne ein, gestaltet es einfach, uns zu sehen, und schwierig, unsere Existenz zu verleugnen; schließlich glauben selbst die stursten Menschen in der Regel den eigenen Augen. Es bedarf nur eines Moments der Unachtsamkeit seitens der Fae, eines einzigen, und scho n …
    Und schon folgen Eisen, Silber und Ebereschenholz, Massengräber auf beiden Seiten und Verbrennungen. Am Ende läuft es immer auf Verbrennungen hinaus, und das ist ein Risiko, das einzugehen ich nie bereit gewesen bin. Ich mag ja so tun, als sei ich menschlich, doch das bedeutet keineswegs, dass ich dumm bin.
    Die ersten Leute gingen auf dem Bürgersteig vor der Gasse vorbei. Menschen haben es schon immer vorgezogen, ihre Leben bei Tageslicht zu führen. Früher dachte ich, das läge daran, dass Menschen über eine armselige Nachtsicht verfügen, und erst, als ich älter und zynischer wurde, erkannte ich, dass der Grund eher darin bestand, dass sie tagsüber weniger zu fürchten hatten. Im grellen Tageslicht haben Trugbanne nicht lange Bestand. Die Ungeheuer finden nicht genügend Verstecke, und alle Lügen der Fae lassen sich einfacher durchschauen. Tagsüber kann man menschlich und trotzdem in Sicherheit sein.
    Hinter mir raschelte etwas, und ich erstarrte. Ich war also nicht allein.
    »Großartig.«
    Zuerst überraschte mich der Sonnenaufgang im Freien, und nun teilte ich mir die Gasse auch noch mit jemandem, der mich in meiner wahren Gestalt sehen konnte. Wenn dieser Tag noch besser werden sollte, würde ich schreien.
    Ich raffte meinen Mantel ums Kinn. Jeder, der mich näher betrachtete, würde bemerken, dass etwas an mir nicht stimmte, aber die Gasse war dunkel und schmal, und offen gesagt würden Leute von der Art, wie man sie bei Tagesanbruch in dunklen Gassen antraf, auf etwas anderes als spitze Ohren achten. »Hallo?« Ich spähte in die Schatten.
    Zwei grüne Kreise blitzten in der Düsternis. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, sprang zurück und drückte mich gegen die Mauer.
    »Und darf ich auch dir einen wunderschönen guten Morgen wünschen, October?« Die Stimme klang belustigt, was auch noch ein Kichern unterstrich, das so cremig war wie Joghurt. »Was ist denn passiert? Hat die hübsche kleine Prinzessin ihre Kutsche nach Hause verpasst?«
    »Tybalt«, sagte ich, als sich meine Überraschung in Abscheu auflöste. Ich richtete mich auf. »Schleich dich nicht so an mich ran.«
    Die Schatten teilten sich und umströmten den Mann, der durch sie in die Gasse trat. Sobald er hindurch war, zogen sie sich hinter ihm nahtlos wieder zu. Ich habe mir immer gewünscht, dasselbe tun zu können, aber immerhin ist Tybalt ein reinblütiger Cait Sidhe; er kann vieles, was ich nicht vermag. Jetzt grinste er. Ich starrte ihn finster an.
    Ich bin nicht klein, aber Tybalt überragt mich um etwa fünfzehn Zentimeter, was ihm gerade genug Größe verleiht, um auf mich herabzuschauen, wenn ihm danach ist. Er besitzt den strammen, muskulösen Körperbau, den nur wenige spezielle Fitnessprogramme herbeiführen können. Bei den meisten Männern wäre das Yoga oder Joggen. In Tybalts Fall handelte es sich um »blutige Kontrolle über den örtlichen Hof der Katzen«. Er war durch das Recht seines Blutes zu ihrem König geworden und hielt den Rang, indem er jeden windelweich prügelte, der ihn ihm streitig zu machen versuchte. Die Cait Sidhe regeln die Thronfolge direkter und gewalttätiger als die meisten Fae.
    Sogar im trüben Licht der Gasse konnte ich die dunkleren braunen Strähnen ausmachen, die sein kurz gestutztes, leicht zerzaustes Haar durchzogen und an das Fell einer Tigerkatze erinnerten. Die Augen hatte er zu Schlitzen verengt, doch ich wusste: Könnte ich sie sehen, so wären sie grün und von katzenartigen Pupillen geteilt. Fügte man dem noch Haut wie Elfenbein und die
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