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Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel

Titel: Ochajon 06 - Und Feuer fiel vom Himmel
Autoren: Batya Gur
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durchs Zimmer. »Nicht wie Raban Jochanan Ben Zakai, der aus dem Jerusalem der Christen unter der Herrschaft Vespasians in einem Totenschrein nach Javne geschmuggelt wurde«, rief der Rabbiner mit prophetischer Inbrunst, »wir, wir werden in Herrlichkeit ausziehen – ein Luftgefährt, Brüder, zu jeder Stunde bricht ein Flugzeug auf. Schiffe werden euch zum Staat des Meeres bringen, nach Kanada – packt euer Hab und Gut, hier wird uns keine Auferstehung zuteil werden … Mir und dem Weisen der Kabbala, Baschari, uns hat sich die Vision offenbart: Wir hörten darin eine Stimme in der Stille der Nacht – und ich gab sie den Gräueln jedes Reiches im Lande hin … und der Kadaver dieses Volkes wird den Vögeln des Himmels und den Tieren des Landes zum Fraße und niemand wird Lärm schlagen … denn der Zerstörung wird das Land anheim fallen – die Zerstörung naht, sie ist nahe! Steht auf und geht! Zieht aus! Ziehet aus vor der Zerstörung – siebzehn Treffpunkte wird es geben …«
    Hier unterbrach Nataschas Stimme die Rede. Mit glasklarer Stimme verlas sie die Namen der Kleinstädte im Negev und im Norden des Landes sowie die Namen der verantwortlichen Rabbiner, und danach kam die Fortsetzung der Rede: »Um die Seelen unserer jüdischen Brüder zu retten …« Hinter dem Rabbiner tauchte nun die Gestalt des greisen Kabbalisten auf, der seit Jahren mit Stummheit geschlagen war und dessen Söhne und Anhänger ihn während feierlicher Versammlungen benutzten, um Dinge zu bestätigen, die bezweifelbar waren: »Kanada!«, rief Rabbiner Alcharizi, und der Kopf des greisen Kabbalisten, versunken in einem Samtsessel und gestützt von einem großen Kissen, pendelte hinter seinem Rücken, »um dort das neue Javne zu errichten – unsere Rasse retten, bevor …« Die Rede riss abrupt ab, und danach war Rabbiner Alcharizi zu sehen, wie er das Ne’ilagebet summte, das Michael aus seiner Kindheit in der Kleinstadt kannte, die sephardische Version des Schlussgebets zum Versöhnungstag. Er sang die Zeilen, die jeder traditionelle orientalische Jude kennt, »bringt ihnen Hilfe, zur Zeit, da die Tore sich schließen«, und der Chor orthodoxer Anhänger, die ihre Habseligkeiten, Koffer und Kisten, trugen, fiel in die Melodie mit ein: »Gott, groß an Taten, lass uns Vergebung finden …« Dann verschwand das Bild, die Stimmen schwiegen, der Bildschirm wurde bläulich und leer.
    »Was … was wollen sie machen?«, flüsterte Zila. »Sie nehmen alles …«
    »Sie gehen nach Kanada«, erwiderte Natascha, »bauen sich dort eine komplette Stadt; alle Zuschussgelder, freiwilligen Spenden, alles wurde in Goldbarren transformiert, ich habe Aufnahmen von den Kisten und Schraibers Aussage, er hat mit eigenen Augen gesehen …«
    »Aber wovon redet er?!«, rief Zila. »Warum gehen sie weg von hier?«
    »Warum?«, grinste Balilati. »Weil sie das sinkende Schiff verlassen. Aber ich weiß schon seit einer ganzen Weile davon, wir haben einiges an Material dazu gesammelt. Das kann helfen, was du da angebracht hast«, wandte er sich an Natascha, »du hast gute Arbeit geleistet, nichts zu sagen.«
    »Erklär’s mir«, bedrängte ihn Zila, »tu mir den Gefallen, ich weiß nicht, ob ich weinen oder lachen soll …«
    »Da gibt’s nicht viel zu erklären«, entgegnete Balilati ungerührt, »der Rabbiner Alcharizi hat sich höchstpersönlich und eigenhändig um den Transfer der Gelder gekümmert. Er ist nicht irgendein Rabbiner, er ist ein Rabbiner mit einer Vision, ja? Ist es nicht so?«, wandte er sich an Michael, der die ganze Zeit über an seinem Tisch, auf seinem üblichen Platz saß, die blassen Strahlen der Dezembersonne spürte, die durch das verstaubte Fenster ins Zimmer fielen, und ergeben darauf wartete, dass sich das Zimmer leeren würde.
    »Es ist ganz einfach«, sagte Balilati, »genial und einfach. Alle genialen Dinge sind letztendlich einfach, ist es nicht so?«
    Niemand antwortete ihm.
    »Und es ist nicht bloß Rabbiner Alcharizi allein«, klärte Balilati sie auf, »er hat auch Baschari, den Kabbalisten, dabei, habt ihr den dahinter, auf dem Sessel, gesehen? Wir meinen, er sei eine Puppe, aber die Gläubigen wissen, dass er ein Mann mit magischen Kräften, ein Auserwählter ist! Fragt bloß nicht! Ein Fremder wird das nie verstehen!«
    »Und er bringt also Familien von hier nach Kanada rüber, oder was?«, fragte Zila, immer noch fassungslos.
    »Zehntausende«, antwortete Natascha mit blitzenden Augen, »komplette Familien. Es
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