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Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Ochajon 04 - Das Lied der Koenige

Titel: Ochajon 04 - Das Lied der Koenige
Autoren: Batya Gur
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Philosophieren.«
    »Solch eine Befragung«, sagte Schorer, »enthält immer den unsicheren Punkt, was für ein Mensch vor einem steht. Man redet plötzlich über sich selbst. Man sucht nach Berührungspunkten. Ich habe immer gesagt, daß Michael bei Verhören ungemein überrascht. Denn man sieht, wie er sich hingibt, wie er bereit ist, von sich selbst etwas preiszuge ben und den Menschen zu verstehen, den er vor sich hat.«
    »Nicht immer«, hörte Michael sich sagen. »Beispielsweise nicht bei Tuwja Schaj und auch nicht in anderen Fällen, in denen es einfach darum ging, eine Falle zu legen.«
    »Einen Mörder«, sagte Schorer, »muß man verstehen, wie jeden anderen Menschen auch. Was seine Motivationen sind, wie er denkt, wie er fühlt.«
    »Warum meinen Sie, daß er bei diesem Fall nicht an ihn rankommt?« fragte Ja'ir beharrlich. »Er ist doch sogar mit dieser Familie verbunden, wenn ich es richtig verstanden habe. Dann könnte er doch gerade in diesem Fall ...«
    »Das ist genau der Punkt«, Balilati schlug mit der Faust auf, die den großen Tisch erbeben ließ. »Er bringt hier persönliche Rechnungen ein, die nicht zur Sache gehören. Und ich sage: Wir gehen in zwei Phasen vor. Zuerst sie.«
    »Wie sind wir jetzt verblieben?« verlangte Schorer ungeduldig zu wissen. »Kannst du es ihr so schmackhaft machen, daß sie ein Interesse hat, es zu tun? Oder kannst du es nicht?«
    Michael nickte und stand auf. Er konnte nicht sprechen.
    »Bring Nita ins blaue Zimmer«, hörte er Balilati hinter seinem Rücken rufen. »Wir werden ihn dort auf sie warten lassen.«
    Das blaue Zimmer war grau wie alle übrigen Räume. Es hatte seinen Namen – so lauteten die Gerüchte –, weil es einmal einen blauen Vorhang hatte, der die Glaswand verdeckte, hinter der die Zuschauer bei der Gegenüberstellung saßen.
     
    Dreimal hatte Michael das starke Gefühl, aufspringen zu müssen, in den Raum zu stürmen und Nita da rauszuholen. Jedesmal setzte er sich wieder hin, zwischen Balilati und Schorer, verkrampfte seine Hände und sah sich um, ohne sich zu rühren. Von dem Moment an, als er ihren Arm berührt und sie in das blaue Zimmer geführt hatte, fühlte er sich, als ob er sie auf einen Weg gelenkt hätte, der ihr das Weiterleben unmöglich machte. Für Sekunden hatte er das Gefühl, daß eine physische Gefahr über ihr schwebte. Daß sie das blaue Zimmer nicht lebend verlassen würde. Mit völliger Selbstaufgabe hatte er ihre Vorwürfe über seine Grausamkeit hingenommen. Vorwürfe, die sie mit einer kalten, unbekannten, deutlich feindseligen Stimme in Schorers Zimmer artikuliert hatte. Er bemerkte auch jetzt, hinter der verspiegelten Scheibe, die Röte, die ihr Gesicht bedeckte, eine Farbe, die von hohem Fieber zeugte. Für einen Moment durchzuckte ihn eine alte Erinnerung. Das Bild seiner selbst, wie er erschrocken vor dem Kinderarzt stand, den vierwöchigen Juwal in den Armen. »Woher soll ich wissen, ob er Fieber hat?« hatte er gefragt, und der Arzt, ein gutmüti ger Bulgare, der das Leben auf die leichte Schulter nahm, hatte ihn frotzelnd angesehen und versprochen: »Sie wer den es wissen. Ich garantiere Ihnen, daß Sie es wissen werden.« »Aber wie?« hörte Michael sich jetzt, damals fragen. »Wenn sie rosa anlaufen, wenn ihre Augen glänzen und sie so schön sind, dann haben sie Fieber«, hatte der Arzt gemeint und war gegangen.
    Er hatte erwartet, Nita kraftlos in Schorers Zimmer vorzufinden, zu dem er aus dem Sitzungssaal geeilt war. Das letzte, was er sich vorgestellt hatte, war dieses Gesicht, strahlend in einer Röte, die er nie darauf gesehen hatte, und die grauen Augen, die wie bei einem Malariaanfall glänzten. Sie sah ihn konzentriert an, als er ihr von dem Requiem und seiner Entdeckung erzählte, von dem Gespräch mit dem Fachmann in Brüssel und von Theos widerlegtem Alibi. »Das gibt es nicht«, sagte Nita entschlossen. »So ist es nicht, und so kann es auch nicht gewesen sein.«
    Michael seufzte. Er hob den Hörer der Hausanlage ab und bat, Isi Maschiach und die Sachverständige mit dem Manuskript zu schicken.
    »Stimmt es?« fragte sie Isi Maschiach, nachdem sie das Manuskript auf das Sofa gelegt hatte. »Er behauptet ...«, sagte sie mit erstickter Stimme und fuhr etwas lauter fort, «hast du es in Theos Zimmer gefunden?«
    Isi senkte den Kopf.
    »Er sagte, daß Theo ... Gabi ... und unseren Vater ... Stimmt es? Weißt du etwas darüber? Glaubst du es? Glaubst du ihm, Isi?«
    Isi Maschiach sah das Paket
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