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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Autoren: Alessandro Baricco
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gesagt?«
    »Nichts. Die Polizei ist nicht verpflichtet zu erklären, warum sie einen ins Gefängnis wirft in diesen Zeiten. Sicher, wir können ihn nicht lange festhalten, wenn wir keinen triftigen Grund dafür finden … aber das werden Sie schon besorgen, nicht wahr?«
    »Gewiß.«
    »Also, kommen Sie. Nein, beugen Sie sich nicht so weit vor. Dort ist er, sehen Sie ihn? Der vorletzte in der Reihe.«
    »Der, der an der Wand lehnt …«
    »Ja. Ist er es?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Nein?«
    »Nein, tut mir leid.«
    »Aber die Beschreibung paßt, er sieht genauso aus.«
    »Er sieht genauso aus, aber er ist es nicht.«
    »Savigny … hören Sie mal gut zu … Von mir aus – können Sie ein Held des Reiches sein, von mir aus können Sie auch mit allen Ministern dieser Welt befreundet sein, aber der da unten ist nun schon der vierte, den …«
    »Schon gut. Sie haben sich große Mühe gegeben.«
    »Nein, hören Sie mir zu. Wir werden ihn niemals finden, den Mann, und wissen Sie auch, warum? Weil der Mann tot ist. Er ist aus einem abgetakelten Krankenhaus in einem dreckigen Winkel Afrikas abgehauen, hat ein paar Kilometer durch irgendeine höllische Wüste zurückgelegt, und dort hat er sich von der Sonne rösten lassen, bis er daran krepiert ist. Ende. Dieser Mann ist jetzt auf der anderen Seite der Welt und düngt einen Sandhaufen.«
    »Dieser Mann hält sich jetzt in dieser Stadt auf und ist kurz davor, mich zu kriegen. Sehen Sie hier.«
    »Ein Brief?«
    »Vor zwei Tagen hat ihn jemand vor meine Haustür gelegt. Lesen Sie, lesen Sie nur …«
    »Ein Satz nur …«
    »Aber ein sehr deutlicher, nicht?«
    »Thomas …«
    »Thomas. Sie haben recht, Pastor. Sie werden ihn niemals finden, diesen Mann. Aber nicht, weil er tot ist. Weil er lebt. Er ist lebendiger als Sie und ich zusammen. Er ist so lebendig, wie es jagende Tiere sind.«
    »Savigny, ich versichere Ihnen, daß …«
    »Er ist lebendig. Und im Gegensatz zu mir hat er gute Gründe, es zu bleiben.« 
     
    »Aber das ich doch Irrsinn, Savigny. Ein brillanter Arzt wie Sie, eine Berühmtheit, jetzt … gerade jetzt, da die Türen der Akademie Ihnen weit offen stehen … Sie wissen genau, daß Ihre Forschung über die Auswirkungen von Hunger und Durst … nun ja, wenn ich selbst sie auch als eine mehr romanhafte als eine wissenschaftliche Arbeit beurteile …«
    »Baron …«
    »… so hat sie meine Kollegen doch sehr beeindruckt, und ich freue mich ganz besonders für Sie, die Akademie verneigt sich vor Ihrem Charme und … auch vor Ihren … schmerzlichen Erfahrungen … das kann ich verstehen … was ich aber nicht im geringsten verstehen kann, ist, warum Sie sich ausgerechnet jetzt in den Kopf gesetzt haben, sich in einem verlassenen Loch in der Provinz zu verstecken, um, hört, hört, den Landarzt abzugeben, ist das richtig so?«
    »Ja, Baron.«
    »Ach ja, herzliche Gratulation … es gibt keinen Arzt in der Stadt, der nicht sonst was darum gäbe, was sage ich, der nicht davon träumte, Ihren Namen zu tragen und Ihre brillante Zukunft vor sich zu haben, und was beschließen Sie? In einem Dorf zu praktizieren … welches Dorf wäre das eigentlich?«
    »Auf dem Land.«
    »Das habe ich bereits verstanden, aber wo?«
    »Weit weg.«
    »Soll ich daraus schließen, daß man nicht wissen darf, wo?«
    »Das wäre mein Wunsch, Baron.«
    »Absurd. Sie verhalten sich schmählich, Savigny, unter aller Kritik, unvernünftig, verwerflich. Ich kann keine plausible Rechtfertigung für Ihr unverzeihliches Verhalten finden und … und … ich kann mir nichts anderes denken als dies: Sie sind verrückt!«
    »Es ist umgekehrt: Ich will es nicht werden, Baron.« 
     
    »Da … das da ist Charbonne … Sehen Sie dort unten?«
    »Ja.«
    »Ein schönes Städtchen. Sie werden sich wohl fühlen.«
    »Ja.« 
     
    »Hoch mit Ihnen, Doktor … so. Halten Sie das einen Augenblick, so … Sie haben die ganze Nacht phantasiert, Sie müssen etwas unternehmen …«
    »Ich habe dir doch gesagt, daß du nicht hierzubleiben brauchtest, Marie.«
    »Was machen Sie da? … Sie wollen doch wohl nicht aufstehen …«
    »Sicher will ich aufstehen …«
    »Aber Sie können doch nicht …«
    »Marie, der Doktor bin ich.«
    »Ja, aber Sie haben sich diese Nacht nicht erlebt … es ging Ihnen wirklich schlecht, Sie schienen verrückt zu sein, Sie sprachen mit Gespenstern, und Sie schrien …«
    »Ich habe geschrien?«
    »Sie haderten mit dem Meer.«
    »Ohhh, schon wieder?«
    »Sie haben böse
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