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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Autoren: Alessandro Baricco
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solchen Geringfügigkeit. Ihm war es unangenehm, jemanden zu belästigen. Nur einmal bat er mich um den Gefallen, eines von den Bildern seines Malerfreundes, das an der Wand hing, direkt vor sein Bett zu postieren. Auch das war eine unglaubliche Geschichte, die Geschichte von der Sammlung der Plassons. Fast alle weiß, wenn Sie mir glauben wollen. Aber er hing sehr daran. Auch das, was ich damals vor seinem Bett aufhängte, war ganz weiß, vollständig weiß, er suchte sich unter allen dieses aus, und ich hängte es ihm so hin, daß er es vom Bett aus gut sehen konnte. Es war weiß, ich schwör’s. Aber er schaute es an, wieder und wieder, er wendete es sozusagen in seinen Augen hin und her.
    »Das Meer …«, sagte er leise.
    Er starb an einem Morgen. Er schloß die Augen und machte sie nicht mehr auf. Ganz einfach.
    Ich weiß nicht. Es gibt Menschen, die sterben, und bei allem Respekt ist es kein Verlust. Aber er war einer von denen, bei denen du es spürst, wenn sie nicht mehr da sind. Als ob die ganze Welt von einem Tag zum anderen ein wenig schwerer wiegen würde. Kann gut sein, daß dieser Planet und alles andere sich nur deshalb in der Luft halten kann, weil viele Bartlebooms darauf verstreut sind, die dafür sorgen, daß er oben bleibt. Mit ihrer Leichtigkeit. Nicht, daß sie wie Helden aussähen, aber trotzdem sind sie es, die dafür sorgen, daß alles weiterläuft. So sind sie. Bartleboom war so einer.
    Zum Beispiel: er war einer, der es fertigbrachte, sich an irgendeinem beliebigen Tag auf der Straße bei dir unterzuhaken und dir in aller Heimlichkeit zu sagen:
    »Ich hab’ schon mal Engel gesehen. Am Ufer des Meeres.«
    Dabei glaubte er gar nicht an Gott, er war Wissenschaftler und nicht allzu empfänglich für die Dinge der Kirche, wenn Sie verstehen, was ich meine. Trotzdem hatte er Engel gesehen. Und sagte es einem auch. Er hakte dich unter, an irgendeinem Tag auf der Straße, und mit Verwunderung in den Augen sagte er es dir.
    »Ich hab’ schon mal Engel gesehen.«
    Mußte man so einen nicht einfach gern haben? 

6. Savigny
     
    »Sie verlassen uns also, Doktor Savigny …«
    »Jawohl.«
    »Und Sie haben sich entschlossen, nach Frankreich zurückzukehren.«
    »Ja.«
    »Es wird nicht leicht für Sie werden … ich meine, die Neugier der Leute, die Zeitungen, die Politiker … Ich fürchte, daß eine wahre Jagd nach den Überlebenden auf dem Floß von damals ausgebrochen ist …«
    »Davon habe ich gehört.«
    »Es ist beinahe schon eine Angelegenheit der Nation geworden. So was kann passieren, wenn die Politik sich einmischt …«
    »Früher oder später wird die Geschichte bei allen in Vergessenheit geraten sein, Sie werden sehen.«
    »Daran zweifle ich nicht, lieber Savigny. Nehmen Sie: das sind die Dokumente für Ihre Einschiffung.«
    »Ich verdanke Ihnen viel, Herr Stabsarzt.«
    »Sagen Sie das nicht.«
    »Und was Ihren Doktor betrifft, so verdanke ich ihm vielleicht mein Leben … er hat wahre Wunder vollbracht.«
    »Savigny, wenn wir anfangen wollen, die Wunder in dieser Geschichte zu zählen, werden wir gar nicht mehr damit aufhören. Gehen Sie. Das Glück sei mit Ihnen.«
    »Danke, Herr Stabsarzt … Ach, eines noch.«
    »Sprechen Sie.«
    »Der … der Steuermann … Thomas … man sagt, er sei aus dem Krankenhaus entflohen …«
    »Ja, eine merkwürdige Geschichte. Gewiß, hier könnte so etwas nicht passieren, aber im Zivilkrankenhaus, Sie können sich unschwer vorstellen, was da …«
    »Hat man noch etwas von ihm gehört?«
    »Nein, bis jetzt nicht. Aber in dem Zustand, in dem er sich befand, kann er nicht sehr weit gekommen sein. Leicht möglich, daß er irgendwo gestorben ist …«
    »Gestorben?«
    »Nun, das ist das mindeste, das einem in den Sinn kommt bei einem, der … oh, verzeihen Sie mir: war er vielleicht ein Freund von Ihnen?«
    »Das wird nicht schwer sein, Savigny, Sie brauchen nur zu wiederholen, was Sie in Ihrem Bericht niedergeschrieben haben. Apropos, Sie haben sicher eine Menge Geld damit verdient, was? Mit dem Büchlein … in den Salons wird nichts anderes mehr gelesen.«
    »Ich habe Sie gefragt, ob es wirklich notwendig ist, daß ich im Gerichtssaal zugegen bin.«
    »Ach nein, notwendig wäre es eigentlich nicht, aber dies ist ein Scheißprozeß, die Augen des ganzen Landes sind auf uns gerichtet, wie kann man da gute Arbeit leisten … alles streng nach dem Gesetz, einfach absurd …«
    »Chaumareys wird ebenfalls anwesend sein …«
    »Sicher wird er dabei sein
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