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Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres

Titel: Oceano Mare - Das Märchen vom Wesen des Meeres
Autoren: Alessandro Baricco
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zugeben wollte, daß es eine denkwürdige Nacht war.
    Wie dem auch sei.
    Gegen Tagesanbruch beruhigte er sich, ich meine, Bartleboom. Und dann allmählich auch das ganze Städtchen. Sie hörten erst allmählich und dann endgültig auf zu lachen. Wie es angefangen hatte, so hörte es auch wieder auf. Bartleboom bat, ihm etwas zu essen zu geben. Das Unternehmen hatte ihm, wie man verstehen wird, großen Hunger verursacht, schließlich ist es keine Kleinigkeit, die ganze Zeit über zu lachen, noch dazu mit solcher Begeisterung. Was die Gesundheit betraf, so hatte er anscheinend im Überfluß davon.
    »Nie ging es mir besser«, bestätigte er einer Delegation von Bürgern, die, irgendwie dankbar und jedenfalls neugierig geworden, kamen, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Bartleboom hatte in der Tat neue Freunde gewonnen. Offensichtlich war es sein Schicksal, daß er in der Gegend dort mit den Menschen so gut zurecht kam. Mit den Frauen ging es schief, das stimmt wohl, aber was die Leute betraf, so schien es, als wäre er für die Gegend dort wie geschaffen. Jedenfalls stand er auf, verabschiedete sich von allen und schickte sich an, seine Reise wiederaufzunehmen. In dieser Hinsicht hatte er einen präzisen Plan.
    »Wie komme ich in die Hauptstadt?«
    »Da müßten Sie nach Bad Hollen zurückkehren, mein Herr, und von dort aus nehmen Sie …«
    »Das kommt überhaupt nicht in Frage«, und er fuhr mit der Kalesche eines Nachbarn, der Schmied war, ein Talent in seiner Branche, ein wahres Talent, in entgegengesetzter Richtung davon. Die Nacht hatte der Schmied damit zugebracht, sich vor Lachen auszuschütten. Er hatte also gewissermaßen eine Dankesschuld abzutragen. An dem Tag schloß er seine Werkstatt und brachte Bartleboom weg aus der besagten Gegend, weg von den Erinnerungen und von allem, zum Teufel, nie mehr wollte er dahin zurückkehren, der Professor, sie war vorbei, diese Geschichte, ob sie nun gut oder schlecht ausgegangen war, sie war zu Ende, ein für allemal, Herrgott Sakrament. Vorbei.
    So.
    Danach hat Bartleboom es nicht mehr versucht. Sich zu verheiraten. Er sagte, die Zeiten seien vorbei, aus und vorbei. Ich glaube, daß er wohl ein wenig darunter litt, aber er ließ es sich nicht anmerken, dafür war er nicht der Typ, seine Kümmernisse behielt er für sich und war fähig, darüber hinwegzugehen. Er war eben einer von denen, die eine heitere Anschauung vom Leben haben. Einer in Frieden mit sich selbst, wenn Sie verstehen, was ich meine. In den sieben Jahren, in denen er hier unter uns gewohnt hat, war es immer ein Vergnügen, ihn hier zu haben, unter uns und oft auch bei uns wie ein Familienmitglied, und in einem gewissen Sinne war er das auch. Hinzu kommt, daß er auch in einem völlig anderen Stadtviertel hätte wohnen können, mit all dem Geld, das er in der letzten Zeit bekam, Erbschaften, damit wir uns recht verstehen, seine Tanten, die eine nach der anderen fielen wie reife Äpfel, mögen sie ruhen in Frieden, die ganze Prozession von Notaren, ein Testament nach dem anderen, und alle füllten wohl oder übel Bartlebooms Taschen mit barem Geld. Folglich hätte er, wenn er gewollt hätte, ganz woanders wohnen können. Aber er blieb hier. Er sagte, daß er sich wohl fühlte in unserem Viertel. Er wußte die Dinge zu würdigen, sozusagen. Auch daran erkennt man einen Menschen.
    An seiner Enzyklopädie der Grenzen undsoweiterundsofort arbeitete er bis zuletzt weiter. Er hatte gerade angefangen, sie neu zu schreiben. Er sagte, die Wissenschaft mache Riesenschritte vorwärts und man fände deshalb nie ein Ende mit Aktualisieren, Spezifizieren, Korrigieren und Nachfeilen. Der Gedanke, daß die Enzyklopädie über die Grenzen letztendlich zu einem Buch werden würde, das niemals fertig wurde, faszinierte ihn. Ein unendliches Buch. Es war schon eine tolle Absurdität, wenn man es recht bedenkt, und er lachte darüber, er erklärte es mir wieder und wieder, selbst erstaunt und sogar belustigt. Ein anderer hätte womöglich darunter gelitten. Aber er war, wie gesagt, fürs Wehklagen nicht geschaffen. Er war ein Heiterer.
    Es versteht sich von selbst, daß er auch das Sterben auf seine Weise erledigt hat. Dezent, ohne großes Aufsehen. Eines Tages legte er sich ins Bett, es ging ihm nicht gut, und eine Woche später war alles vorbei. Man merkte gar nicht recht, ob er in jenen Tagen litt oder nicht, ich fragte ihn danach, aber ihm war nur daran gelegen, daß wir nicht traurig wurden, wir alle, wegen einer
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