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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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Wenn die Tür zu ist, kann Vater sehen, wie spät es ist.
    Nach einem Blick aufs Zifferblatt sagt er: »Ich hab Hunger.«
    »Ich hab auch manchmal Hunger«, sage ich. Die Uhr tickt ruhig weiter.
    »Die Vorhänge sind zu«, bemerkt er dann.
    Ich gehe zum Fenster und ziehe die Vorhänge auf. Es regnet nicht mehr, und der Wind hat etwas nachgelassen. Das Wasser im Graben steht hoch und läuft über den Rand des Damms. »Ich muß zur Mühle«, sage ich zu mir selbst und zur Fensterscheibe. Vielleicht sage ich es auch zu Vater.
    »Was?«
    »Nichts.« Ich öffne einen Fensterflügel und denke, während ich ihn festhake, an die kahle Stelle im Wohnzimmer.

    In der Küche schmiere ich mir ein paar Scheiben Brot und belege sie mit Käse. Ich schlinge die Brote hinunter, es geht mir kaum schnell genug. Während der Kaffee noch durch die Maschine läuft, stehe ich schon im Wohnzimmer. Ich bin allein, ich muß es allein machen. Das Sofa schiebe ich auf einen der Läufer, die ich auch für die Uhr benutzt habe. Ich schleife es durch den Flur in die Waschküche. Die beiden Sessel schleppe ich durch die Vordertür nach draußen und stelle sie an den Straßenrand. Die übrigen Sachen bringe ich auch in die Waschküche. Das Büfett muß ich erst ganz leerräumen, bevor es sich verschieben läßt. Dann endlich kann ich meine Finger unter den Teppichboden zwängen. Der hier war teurer, nichts zerbröselt unter meinen Händen. Beim Aufrollen überlege ich, ob ich dieses Stück Teppich aufheben soll, kann ich es nicht noch für irgendwas gebrauchen? Mir fällt nichts ein. Die Rolle ist zu schwer zum Tragen, ich schleife sie über den Kiesweg und die kleine Brücke zur Straße. Als ich wieder auf die Vordertür zugehe, fällt mein Blick auf das Telefon im Flur. Ich rufe bei der Gemeinde an und sage, daß ich Sperrmüll habe. In der Kanne auf der Warmhalteplatte dampft der Kaffee.

    Auf dem Weg zur Mühle sehe ich, was ich auch an den vergangenen Tagen schon gesehen habe, eine seltsame Erscheinung, die mich beunruhigt. Einen Vogelschwarm, der nicht von Norden nach Süden zieht, sondern in alle Himmelsrichtungen schwenkt, immer wieder. Nur das Geräusch von schlagenden Flügeln ist zu hören. DerSchwarm besteht aus Rabenkrähen, Austernfischern und Silbermöwen. Das ist das Seltsame daran, noch nie habe ich diese drei Vogelarten zusammen fliegen sehen. Es hat etwas von einem unheilverkündenden Vorzeichen. Oder habe ich das gleiche auch früher schon gesehen, ohne dieses unbehagliche Gefühl? Nach längerem Hinschauen stelle ich fest, daß es sogar vier Arten sind: Zwischen den großen Silbermöwen erkenne ich auch deutlich kleinere Lachmöwen. Die Vögel fliegen alle durcheinander, nicht in getrennten Formationen; als ob sie verwirrt wären.

    Die Windmühle ist eine kleine eiserne Bosman-Schöpfmühle. »Bosman Piershil« steht auf einer Seite des eisernen Steerts. »N°40832« und »Ned Oct« steht auf der anderen. Oktober, hatte ich früher gedacht, octrooi, weiß ich heute. Ein niederländisches Patent also, bei dem sich die Schöpfmühle selbst in den Wind dreht, wenn der Steert rechtwinklig zu den Flügeln ausgerichtet ist, und dann immer weiterschöpft, bis man den Steert an einer Führungsstange einklappt, so daß er parallel zu den Flügeln steht. Aber jetzt klappe ich den Steert mit Hilfe einer daran befestigten Stange aus. Eine wunderschöne, schlanke kleine Mühle, sie wirkt irgendwie amerikanisch. Eben deswegen, und wegen des Betonfundaments im Graben, und weil wir den Geruch von Schmieröl so gern mochten, waren Henk und ich oft hier, im Sommer. Hier war es anders. Jedes Jahr kam ein Bosman-Mann, um die Mühle zu warten, und auch jetzt funktioniert sie noch einwandfrei, obwohl schon seit Jahren kein Bosman-Mann mehr dagewesen ist. Ich bleibe einen Moment stehen und sehe zu, wie das Wasser im Kanal anschwillt.
    Ich gehe auf einem Umweg zurück und zähle dieSchafe. Sie sind alle noch da. Alle dreiundzwanzig, und der Schafbock. Die Hinterteile der Mutterschafe sind rot, ich werde den Bock bald fortbringen. Erst laufen sie vor mir weg; dann, als ich mich dem Zaun auf dem Damm nähere, kommen sie allmählich hinter mir her. Am Zaun bleibe ich stehen. In etwa zehn Meter Entfernung machen die Schafe halt. Sie haben sich aufgereiht, und alle schauen mich an, in der Mitte der Bock mit seinem Quadratschädel. Der Anblick bereitet mir Unbehagen.
    Als ich wieder auf dem Hof bin, sehe ich den durchweichten Teppichboden und beschließe,
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