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Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still

Titel: Oben ist es still - Bakker, G: Oben ist es still
Autoren: Gerbrand Bakker
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auch den an die Straße zu legen.

    Bevor ich melken gehe, harke ich noch kurz den Kies im Vorgarten. Es wird schon leicht dämmrig. Die beiden kleinen Jungen von nebenan, Teun und Ronald, sitzen unter dem Teppich – dem teureren Teppich –, den sie halb ausgerollt über die beiden Sessel geworfen haben. Vor ein paar Tagen hatten sie abends gegen sieben an der Vordertür gestanden, ihre ausgehöhlten roten Zukkerrüben hochgehalten und sehr falsch ein Lied gesungen. Das sanfte Licht aus den Rüben hatte ihre erhitzten Gesichter noch röter gemacht. Ich hatte sie mit einem Mars belohnt. Jetzt haben beide eine Taschenlampe. »Hallo, Helmer!« rufen sie mir durch eine Öffnung zu, die sie – mit einem Messer? – in den Teppichboden geschnitten haben. »Das ist unser Haus!«
    »Ein wunderschönes Haus«, rufe ich, auf meine Harke gestützt.
    »Und wir haben auch Licht!«
    »Das sehe ich.«
    »Und hier gibt’s ’ne Überschwemmung!«
    »Das Wasser fällt schon wieder«, versichere ich.
    »Wir schlafen heut nacht hier.«
    »Das glaube ich nicht«, sage ich.
    »Ich glaube doch«, meint Ronald, der Jüngere.
    »Nein, sicher nicht.«
    »Wir gehn gleich nach Hause«, höre ich Teun leise zu seinem Bruder sagen. »Hier haben wir nichts zu essen.«
    Ich schaue zum Fenster von Vaters Zimmer hinauf. Es ist dunkel.
4
    »Ich möchte Nikolaus feiern«, sagt er.
    »Nikolaus?« In diesem Haus ist seit Mutters Tod nicht mehr Nikolaus gefeiert worden. »Warum?«
    »Das ist gemütlich.«
    »Und wie stellst du dir das vor?«
    »Na ja«, sagt er, »wie üblich.«
    »Wie üblich? Wenn du Nikolaus feiern willst, mußt du Geschenke kaufen.«
    »Ja.«
    »Ja. Wie willst du Geschenke kaufen?«
    »Du mußt sie kaufen.«
    »Auch für mich?«
    »Ja.«
    »Dann weiß ich schon, was ich bekomme.« Ich will nicht so lange mit ihm reden. Ich will nur kurz nach ihm sehen und schnell wieder verschwinden. Das Ticken der Standuhr füllt das Zimmer. Sonnenlicht fällt auf die Glasscheiben des Schranks, ein fensterförmiges Viereck, und die Scheiben werfen das Licht auf das Schafgemälde, das jetzt gar nicht mehr so düster wirkt. Ein merkwürdiges Bild. Manchmal scheint darauf Winter zu sein, manchmal ist es Sommer oder Herbst.
    Als ich gerade die Tür schließen will, ruft er: »Durst.«
    »Ich hab auch manchmal Durst.« Ich ziehe die Tür fest hinter mir zu und gehe die Treppe hinunter.

    Nur das Sofa ist ins Wohnzimmer zurückgekehrt. Auf dem untersten Brett des eingebauten Wäscheschranks in meinem Schlafzimmer habe ich ein großes Stück Stoff gefunden. Vielleicht hatte Mutter sich noch ein Kleid daraus nähen wollen, allerdings kommt es mir für den Zweck reichlich groß vor. Es macht sich sehr gut als Überzug für das Sofa. Der Boden ist grundfarbengrau; wenn die Tür zum Schlafzimmer offensteht, schließen sich die ebenfalls neu gestrichene Schwelle und der Boden dahinter nahtlos an. Auch alle Fußleisten, Fensterpfosten und Türen sind in der Grundfarbe gestrichen. Das Büfett steht in einem anderen Raum, das niedrige Bücherschränkchen oben. Alle Pflanzen, die blühen können, habe ich auf den Misthaufen geworfen. Es sind nicht viele übriggeblieben. Wenn ich Farbe kaufe, muß ich auch mal nach Lamellenjalousien oder Rollos schauen; die schweren, dunkelgrünen Vorhänge im Schlaf- und Wohnzimmer geben mir das Gefühl, keine Luft zu bekommen, und ich habe die unbestimmte Vorstellung, daß das nicht nur so ist, weil sie seit Jahren nicht mehr ausgeklopft worden sind. Den restlichen Inhalt des Einbauschranks im Schlafzimmer habe ich nach oben gebracht und meine eigenen Kleider heruntergeholt.

    Es gibt Katzen hier. Scheue Wegrennkatzen. Manchmal sind es zwei oder drei, ein paar Monate später sind es auf einmal neun oder zehn. Einige hinken oder haben keinen Schwanz mehr, andere (die meisten eigentlich) sind ewig verschleimt. Man hat nie einen Überblicküber sie, deshalb wundert man sich nicht, wenn es zehn sind, und auch nicht, wenn es nur zwei sind. Vater löste das Katzenproblem, indem er jeden neuen Wurf in einen Jutesack steckte, einen Stein dazulegte und den Sack in den Graben schmiß. Vor vielen Jahren hatte er auch noch einen alten Lappen in den Sack gestopft, den er mit einer Flüssigkeit aus dem Giftschränkchen tränkte. Ich weiß nicht, was das für eine Flüssigkeit war. Chloroform? Aber wie hatte er sich eine Flasche Chloroform beschafft? War das Zeug vor dreißig Jahren frei verkäuflich? Das silbergraue Schränkchen mit dem
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