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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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noch nicht sehr schlimm. Noch nicht.
    Als Janina zwei Stoffservietten, zwei Tassen, zwei Teller, zwei Löffel, ein Kännchen mit Milch, eine Kaffeekanne, eine Zuckerdose und eine Schale mit acht Biskuits auf den zierlichen Tisch gestellt hatte (nachdem Dörte so gnädig war, ihre schönen Beine von der Marmorplatte zu nehmen), bedankte sich Flocke artig.
    Dörte (ja klar) bedankte sich nicht.
    »Mein Freund bleibt zum Mittagessen.«
    Janina nickte und verließ den Raum.
    Dörte nahm ein Biskuit.
    »Wirst ja wohl Zeit haben, jetzt, wo deine Alten verreist sind, oder?«
    Flocke hatte das Gefühl, dass hier keine Absage erlaubt sei. Aber das musste ihn ja nicht stören, denn er war ja weit, weit! entfernt davon, abzusagen. O nein. Ganz im Gegenteil. Er freute sich. Er befand sich seelisch in einem Freudentaumel. Und die Freude, die seit dem Augenblick, in dem er heute Morgen um 9 Uhr 22 ihren Anruf erhalten hatte (er hatte es nicht glauben können, als er ihre Nummer auf dem Display seines Handys gesehen hatte), immer wieder in ihm hochbrandete, schwemmte alle anderen Empfindungen hinweg, sogar die zunehmenden Zahnschmerzen. Offensichtlich suchte Dörte seine Gegenwart. Wahnsinn!
    »Ja klar, ich bleibe gern zum Mittagessen.«
    Dass er einmal so viel Zeit mit Dörte verbringen würde, das hätte er nicht zu hoffen gewagt.
    Dörte zeigt auf das Tablett, das Janina vor ihnen abgestellt hatte.
    »Willste Zucker oder Milch in den Kaffee, willste Kekse?«
    Nein, er wollte seinen Kaffee schwarz trinken.
    Nein, er wollte keinen Keks essen.
    »Ich habe viel Zeit«, sagte er, »ich habe erst um 15 Uhr einen Termin beim Zahnarzt. Dauert nicht lange. Danach könnt ich aber gleich wiederkommen. Wenn du willst.«
    Nein, Dörte fragte nicht, ob er Zahnschmerzen habe.
    »Ich kann den Termin aber auch sausen lassen«, fügte er eilig an.
    »Sehn wir mal.«

Salon (zur selben Zeit)
    Johanna war, nachdem sie ihren exaltierten Vortrag über die angeblich notorisch überanstrengte Jugend beendet hatte, in ein brütendes Schweigen versunken, als habe sie das ungewohnte Sprechen gleichermaßen überanstrengt. Sie starrte mit unbewegter Miene aus dem Fenster. Offensichtlich konnte sie der Außenwelt nicht viel abgewinnen. Sie schien nichts wahrnehmen zu wollen, nicht den nahezu perfekten Frühsommertag, nicht die Spaziergänger, nicht die Boote, nicht den Schwan, der auf dem glitzernden Fluss dahinglitt und dessen weißes Gefieder in der Sonne leuchtete, als besäße er eine inwendige Lichtquelle.
    Johanna aber sah blind in eine unbekannte Ferne.
    In kurzen Abständen zündete sie sich eine Zigarette an.
    Leonie hatte die Zeitung wieder entfaltet, konnte sich aber weiterhin nicht auf den Artikel über den exzentrischen Autor konzentrieren.
    Die müde Stille im Salon wurde gelegentlich unterbrochen durch die Ausrufe der am Ufer spielenden Kinder und das Motorengeräusch vorbeifahrender Schiffe. In der Ferne bellte ein Hund.

Charlottes Zimmer im 1. Stock (zur selben Zeit)
    Charlotte stand am Fenster ihres Arbeitszimmers und sah auf den Fluss. Das tat sie immer, wenn sie nachdenken musste. Ein freundlicher Wind war aufgekommen, und der Wellengang war munterer geworden. Auch sie sah den Schwan. Jetzt verließ er seinen geraden Kurs in der Flussmitte und steuerte auf das Ufer zu. Für einen Augenblick überkam sie das Gefühl, dass er eine Botschaft mit sich führe. Eine Botschaft speziell für sie, Charlotte.
    Sie erschrak. Himmel, was war denn das für eine Idiotie? So dachte sie fast im gleichen Moment. Sie schüttelte verwundert den Kopf. So weit kommt es noch, dachte sie, dass ich mich so einem Hokuspokus ausliefere, dass ich solche Altersschrullen entwickle, dass ich Wunder erahne, wo keine sind, dass ich sonderbar werde und den Erscheinungen eine Qualität zumesse, die ihnen nicht zukommt. Solche irrationalen Anmutungen kannte sie nicht. Sie waren ihr fremd. Zutiefst fremd. Sie war befremdet von sich selbst.
    Nein, so weit durfte es nicht kommen. Was immer dieser Tag mit sich brächte, sie würde tun, was notwendig wäre, so wie sie das immer getan hatte, und es würde auch in diesem Fall eine Lösung geben.
    So oder so.
    Der Schwan hatte seinen geraden Kurs flussabwärts wiederaufgenommen.

Salon (kurz darauf)
    Nadine kehrte zurück von ihrem Einkauf. In der Konditorei hatte sie einen Espresso getrunken. Das war, kurz bevor sie zu ihrem Arzt gegangen war. Dort war das Schlimmste schnell gesagt gewesen.
    Im Salon streifte ihr
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