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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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könne. Das Leben ein einziger Wettlauf. Ja, so sei es: Die liefen immerzu um die Wette und tränken dabei atemlos Kaffee aus Pappbechern.
    Und dann das Internet: Das sei ja die Atemlosigkeit per se. Das fordere eine grelle Wachsamkeit und eine halsbrecherische Flexibilität des Geistes und der Sinne. Da bleibe keine Luft für gedankliche Ausflüge. Das Netz bringe den Geist gleich in Simultanwettläufe. Man halte mal seine Angelegenheiten alle aufrecht, wenn es einen dreifach gebe, wenn man vier Blogs bedienen, ständig zwanzig Leuten posten wolle, wo man gerade sei, was man gerade mache und wo man in den nächsten Stunden sein werde, und zugleich die dem entsprechenden Nachrichten von den anderen entgegennehmen und nebenbei noch Auktionen bei eBay im Auge haben müsse. Auf Facebook beschreibe man mitlaufend permanent ein Leben, das man nicht lebe.
    Da sei die Luftnot Programm.
    Sie habe das studiert, habe da sogar ein wenig mitgemacht. Das habe einen hohen Reiz. Sie sei dem auch zeitweise erlegen. Das müsse sie schon zugeben. Sie könne verstehen, dass die Jungen die für sie maßgeblichen Teile ihres Lebens ganz in die Cyberwelt auslagerten.
    Allerdings, sie sei sicher, dass, fiele der Strom mal über längere Zeit aus, siebzig Prozent dieser Jugend in der Psychiatrie landen würden.
    Aber nein, sie wolle nicht mehr jung sein, sie wolle ihren Kaffee nicht im Galopp trinken.
    Galopp?, hatte Leonie gedacht und nachdenklich die Gehhilfe betrachtet, an der Johanna gehangen hatte, als sie in den Raum geschlurft war.
    Ja, dachte sie jetzt, so manche Tugend hatte ihre Ursache einzig in der Schwäche. Aber auch diesen Gedanken konnte sie nicht ausbauen, denn Johanna legte schon wieder nach.
    Sie, die Jungen, wirkten ständig so, als hätten sie in dieser rasanten Ablaufdynamik keine Zeit zu verlieren.
    Leonie dachte an Dörte, den jugendlichen Neuzugang in diesem Haus. Die war nicht ›aus der Puste‹, die trat auf der Stelle, nicht der Hauch einer Erschöpfung, da würde sie, Leonie, eher von einem Rückwärtsgang sprechen wollen.
    Sie selbst, so brachte Johanna ihre Rede zu einem Schluss, sie selbst habe in ihrem Leben viel Zeit verloren, und die Zeiten, da sie sich das Zeitverlieren gestattet habe, seien immer die besten Zeiten gewesen. Und daher habe sie jetzt, da ihre Tage gezählt seien, jetzt, ja jetzt, just mit dem heutigen Tag, beschlossen, diese letzte Zeit – ungeachtet der Internetverlockungen – doch lieber im analog Unzeitgemäßen zu verbringen.
    »Willkommen daheim«, sagte Leonie ausgelaugt.
    Dann war es ganz still.

Drinnen
    Wer Johanna jetzt so finster, bissig in sich zusammengesunken in dem Sessel sitzen sah, mochte sicher nicht glauben, dass sie einst eine Autorin der hellen, schwebenden Töne gewesen war. Vorübergehend bewundert für die beschwingte Leichtigkeit ihrer Prosa, von der Kritik hochgelobt für ihren Hymnus an das Leben, ihre Feier des geglückten Augenblicks, ihre Hingabe an das Geschenk eines sonnigen Morgens, die Schönheit eines geäderten Blattes, die Unergründlichkeit im Auge eines Reptils und die Gespinste der Nacht. Von einer Elfenprosa hatte ein Rezensent gesprochen.
    Fotografien aus dieser Zeit zeigten eine sehr schmale, aparte dunkelhaarige Frau, die elegisch in die Ferne schaute, zart umweht von einer besänftigten Natur.
    Ganz so elegisch war ihr Leben nicht gewesen.
    Es war über viele Jahre sogar ein umtriebiges, lautes und schnelles Leben gewesen, eingebunden in einen bunten, gleichgestimmten Freundeskreis. Sie hatte mit ihrem Mann, einem begehrten Opernregisseur, die Kontinente bereist, offen für das Fremde, bereit für das Exotische und das Abnorme und scharf auf alle Neuerungen. Da gab es glamouröse Feste an exklusiven Orten, Sex mit anderen Männern, Affären, Streit, Versöhnung, Alkohol, auch Drogen, aber nie in den Exzess hinein, eher schon in die Ermüdung.
    Jedenfalls war ihr Leben nicht so zartschwebend gewesen, so ganz in die Elfenferne gewoben, wie sich das viele ihrer Leserinnen vorgestellt hatten, als ihre Bücher noch gelesen wurden.
    Kinder waren ihr versagt geblieben.
    Vor dreiundzwanzig Jahren war ihr Mann gestorben. Danach hatte es noch etliche Affären gegeben, aber keine, die in ihrer Erinnerung eine große Rolle spielte. Die illustre Schar der Freunde war durch Todesfälle erheblich reduziert worden. Andere waren verstummt, verloren, weggetrieben von den Winden.
    Ja, so war das eben.

Bibliothek (unterdessen)
    Flocke hatte Zahnweh, wenn auch
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