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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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gleichgültiger Blick kurz Johanna, deren Anwesenheit sie an jedem vorangehenden Tag erstaunt hätte. Dann legte sie das Tortenpaket auf den Couchtisch und überraschte die anderen, als sie mit einer für sie ungewöhnlichen Schärfe sagte: »Wenn man den Aschenbecher gelegentlich mal ausschütten und mit einem feuchten Lappen säubern würde, würde es nicht so stinken. Und überhaupt, ich finde, hier im Salon muss nicht geraucht werden.«
    Leonie, die keinen Streit wollte, sagte sanft:
    »Alle Fenster sind weit geöffnet. Warum bist du so empfindlich? Es hat dich nie gestört, wenn Charlotte hier gelegentlich rauchte.«
    »Du sagst es: Charlotte raucht gelegentlich , andere rauchen Kette.« Nadines Tonfall war giftig. Grell giftig.
    Johanna schaute nur angeödet in Nadines Richtung.
    Die hatte eine kämpferische Haltung eingenommen, oder eine Haltung, die sie für kämpferisch hielt, die ihr aber etwas missglückte, weil sie ihrem Charakter widersprach und daher lebensgeschichtlich nicht erprobt war. Das sah ein bisschen komisch aus, aber Leonie war nicht zum Lachen zumute, weil sie das Gift auch in Nadines Miene und Stimme wahrnahm, eine Entstellung aufs Ganze, die Leonie beeindruckte.
    Johanna jedoch schien nicht beeindruckt.
    »Ich werde das Rauchen nicht mehr einstellen. Ich bin alt, sehr alt, meine Beine sind schwach, meine Augen sind schwach, mein Herz ist schwach, meine Verdauung ist schwach, so auch mein Gedächtnis – warum sollte ich aufhören mit dem Rauchen und mich dabei quälen? Damit ich ein halbes Jahr länger lebe?
    Ich habe keine Kraft mehr zu Aufbrüchen. Ich gehe nichts mehr an. Ich würde gerne hemmungslos und sinnlos lügen. Aber dafür braucht man ein gutes Gedächtnis, und es ist auch zu spät, noch einmal etwas Neues anzufangen.«
    Nadine wurde noch greller.
    »Aber ›Unerhört‹ kreischen kannst du noch, du bist noch gut bei Stimme. Du solltest nichts tun, was die Leute so quält, dass sie dein baldiges Ableben erhoffen.«
    Nadine schnappte sich das Tortenpaket und verließ den Raum, dabei wäre sie beinahe mit Charlotte zusammengeprallt, die die erregten Stimmen gehört und sich gedacht hatte, dass man da vielleicht einmal nachschauen müsse.

Küche (etwas später)
    Janina war zornig.
    Da war doch die Kokette in ihre Küche gerauscht, hatte stramm gesagt, dass zur Teezeit Herr von Rungholt erscheinen werde und dass sie, also Janina, bitte die nötigen Vorbereitungen im Salon treffen möge. Bitte das gute Porzellan und das Silber. Und bitte eine frische Tischdecke und frische Blumen. Die Torte, die der Herr so gerne äße, habe sie schon besorgt. Bei dem Wort »bitte« hatte sie immer mit der flachen Hand auf die Tischplatte geschlagen. Das hatte jedes Mal richtig geknallt. Und mit den letzten Worten hatte sie unsanft ein Paket auf den Küchentisch gelegt.
    Da sollte sie sich keine Illusionen über den Zustand der Torte machen, hatte Janina gedacht und: Was war denn mit der passiert, so kannte man die ja gar nicht. Die hatte nicht melodisch gezwitschert wie sonst, nein, ganz abgehakt auf einer Tonhöhe wie ein Automat hatte die gesprochen und die Bewegungen – wie ferngesteuert.
    Was war überhaupt heute los? Die Verrückte hatte seit dem Morgen nicht mehr ihr ›Unerhört‹ in die Gegend geschmettert. Und die Traurige (so nannte sie Leonie bei sich) war auch noch nicht aufgetaucht. Sie hatte die Chefin einmal gefragt, warum die denn immer so traurig sei. Da hatte die Chefin erzählt, dass die Traurige den Tod ihres Mannes und ihrer Kinder, die vor sechs Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen seien, nicht verwinden könne. Die habe man in der Schwärze ihres Schmerzes nicht versinken lassen dürfen. Die habe man in die Villa retten müssen. Ja, so hatte die Chefin das ausgedrückt: »der Schwärze ihres Schmerzes«. Das hatte Janina beeindruckt. Alle Rettungsaktionen der Chefin hatten sie beeindruckt. Die Kokette hatte sie ja auch in die Villa geholt, als die vor einigen Jahren so krank gewesen war. Bald schon war es ihr bessergegangen, und seitdem hatte die sich durchs Haus gezwitschert. Bis heute. –
    Janina sah auf ihre Armbanduhr.
    Jedenfalls pflegte die Traurige für gewöhnlich um diese Zeit bei ihr in der Küche aufzutauchen, um die Einkäufe und den Speiseplan für den nächsten Tag zu besprechen. Sie war immer sehr freundlich, zugleich auch etwas entrückt. Als befände sich eine Milchglasscheibe zwischen ihr und der Welt. Heute war sie nicht gekommen. Seltsam war
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