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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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Johanna, eine vergessene Autorin der Belletristik, tat sich keinen Zwang mehr an.
    Warum auch.
    »Unerhört.«

Vor der weißen Villa (zur selben Zeit)
    Auch Flocke hatte diesen Ruf gehört, dieses »Unerhört«, das aus der Villa schrillte, die er kurz darauf betreten würde.
    Flocke wunderte sich.
    Es war der Tag, an dem Flocke aus dem Wundern nicht mehr herauskam. Flocke war sein Spitzname. Jemand hatte einmal zu jemandem gesagt, dass er eigentlich Florian Kern heiße.
    Flocke war ein neunzehnjähriger Schüler.
    Bei dieser Kennzeichnung konnte man es eigentlich belassen. Hätte sich jemand eingehend nach ihm erkundigt, wäre das Wesentliche zu seiner Person schnell gesagt.
    Er war ein ruhiger Typ, unaufgeregt, geduldig.
    Er war gut in der Schule, ohne als Streber zu gelten. Er war in engen Grenzen witzig. Soll heißen: Zuweilen fand er den Weg zu erborgten Pointen und punktete damit in seiner Clique.
    Er fügte sich in die sprachlichen und körperlichen Ausdrucksformen seiner Altersklasse, ohne je in die Extreme zu gehen.
    Er wurde gemocht, wenn auch nicht geliebt. Er hatte hundertsiebenundzwanzig Freunde bei Facebook. Er trug die richtigen Hosen und Hemden, ging in die richtigen Lokale, hatte die richtige Frisur, schätzte die richtigen Filme und kannte sich gut aus in angesagter Popmusik und hinreichend in der Cyberwelt.
    Man könnte sagen: Er war überdurchschnittlich durchschnittlich …
    Im Moment hatte Flocke Zahnweh. Der Schmerz hatte sich in den letzten Tagen angeschlichen. Am Nachmittag hatte Flocke einen Termin beim Zahnarzt.
    Das Wort »unerhört« befand sich nicht in seinem aktiven Wortschatz.

Drinnen
    Flocke, der Farbarme, sollte im Folgenden keine maßgebliche Rolle spielen, aber es musste doch von ihm die Rede sein, denn er hatte sich in einer Leidenschaftlichkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte (mehr oder weniger aus der Ferne), in die scharfe siebzehnjährige Dörte verliebt, in Sexy-Dörte, wie sie in ihrer Clique genannt wurde.
    Seine erste und – wie er dachte – seine große Liebe.
    Leider bestand der Verdacht, dass die wilde Dörte diese Gefühle nicht teilte und sich den freundlichen Jungen nur in die Villa bestellt hatte, weil sie in der letzten Zeit allzu aufsässig geworden war und im Zuge etlicher Grenzverletzungen den elterlichen Groll, ja deren blanke Wut, hervorgerufen hatte und jetzt im ungewohnten Milieu der großmütterlichen Villa (einem Prachtbau der Gründerzeit), in der sie sich nach der Vertreibung aus dem Elternhaus wiedergefunden hatte, notwendig einen gleichaltrigen Freund, einen verlässlichen Kumpel, brauchte.
    Eine ratlose Göre von ratlosen Erzeugern bei der Vorgängergeneration geparkt.
    Auch sie hatte sich eine erste Liebe eingebildet. Der, dem sie gegolten hatte und vielleicht noch immer galt, befand sich jetzt in Untersuchungshaft, angeklagt des wiederholten Diebstahls und der räuberischen Erpressung.
    Diese Dörte hatte das Gefährliche gesucht, hatte sich eine Zuständigkeit im Bösen angemaßt (da kam vieles aus Comics und Filmen), hatte sich mit einer höllischen Bestimmung geschmückt, war dann kurz an einen sozialen Abgrund getreten – und hatte sich sogleich sehr geängstigt. Im Grunde war sie nichts mehr als ein dummes kleines Mädchen, allerdings glücklich ausgestattet mit einem Körper, für den manche Frau – wäre dies der handelsübliche Preis dafür – einen Mord erwogen hätte.
    (Flocke war, als er Dörtes Anruf am Morgen entgegengenommen hatte, über die unverhoffte Einberufung ebenso verwundert wie entzückt gewesen.)

Bibliothek (10 Uhr 08)
    »Hier wohnst du jetzt.« In Flockes Feststellung war viel Frage enthalten. Sein ungläubiger Blick ruhte auf einem goldgerahmten Ölbild, dem Brustporträt eines ernsten Herrn mit einer hochgelockten Frisur und gebauschten Favoris.
    (Möglicherweise der Ahnherr einer der vier alten Damen, die das Haus bewohnten.) Gehüllt in einen dunklen Gehrock, dessen Brustausschnitt ein gewaltiges weißes Plastron füllte, schaute er drohend aus dem Bild.
    Flocke hätte weder die Malweise noch die Bekleidung des Porträtierten und gewiss nicht die Stilmerkmale des ihn umgebenden Mobiliars benennen und historisch zuordnen können.
    Er wäre nicht einmal auf die Idee gekommen, dies können zu wollen.
    Flocke rutschte unbehaglich auf dem schlanken Polsterstühlchen, auf das ihn Dörte gedrückt hatte, hin und her. Ihm war, als wäre er mit dem Eintritt in die Villa in die Kulissenwelt eines jener Kostümfilme
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