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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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liebendem Zwang in die Villa geholt hatte.
    Jetzt war sie nicht mehr alleine, sie war hier bei der verwitweten Charlotte, bei der gleichfalls verwitweten Johanna und der schnöde durch eine Jüngere ausgetauschten Nadine.
    Aber Leonie murmelte weiterhin in sich hinein, gab Denklaute und Fühllaute von sich.
    Ein Nachhall? Sprach sie schon in eine Erinnerung hinein? Sprach sie zu denen, die es hier nicht mehr gab?
    Leonie war traurig, tief traurig, und ihre Stimmung hellte sich auch nicht auf, als Charlotte in den Salon kam.
    »Zu wem sprichst du?«, fragte Charlotte, die sehr wohl wusste, dass es sich um gemurmelte Selbstgespräche handelte.
    »Zu mir, zu dir, zu ihm, zu ihr. Gleichviel. Es hat ohnehin keine Wirkung mehr.«
    »Warum?«
    »Zu wenig Hall.«
    »Soll heißen?«
    »Kein Raum, keine Akustik. Kein Echo. Es strahlt nichts mehr in eine weite Zukunft. Eine Zukunft, die diese Bezeichnung verdiente. Die Wahrscheinlichkeit, dass du bald schon tot sein wirst, nimmt jede Wucht aus dem, was du zu sagen hast. Das ist wie eine fundamentale Widerlegung.«
    »Nimm dich zusammen: Disziplin, Haltung, Contenance. Nenn es, wie du willst.«
    »Wozu noch?«
    »Für dich, für mich.«
    »Damit ich mein Menetekel nicht mit der eigenen Kacke an die Wand schmiere? Ich kannte eine, die das im Alter tat.«
    »Na, vielen Dank. Möchtest du das gerne tun?«
    »Nicht einmal die Vorstellung gestatte ich mir.«
    »Das beruhigt mich. Hoffentlich kommt Johanna nicht irgendwann auf diese Idee. Aber die Gefahr ist nicht so groß, sie hinterlässt ihre Botschaften jetzt im weltweiten Netz, in das sie sich schon zu zwei Dritteln ihrer Existenz versenkt hat.«
    »Aber ihr ›Unerhört‹ schmettert sie noch in die analoge Welt. Ich finde das ermüdend.«
    Charlotte wechselte die Tonart.
    »Ja, ich finde das auch ermüdend. Aber wahrscheinlich sind wir alle hier in der Villa auf diese oder jene Weise ermüdend. Erstarrt in unseren Schrullen. Meine liebe Leonie, es hilft ja nichts, du musst dich abfinden. Wie wir alle. Du bist alt. Deshalb bist du immer in der Vorläufigkeit. Vorläufig bist du noch nicht tot. Du bist Mahnung oder Hoffnung. Bist du hinfällig, kommt ein Entsetzen ins Spiel, du bist Vorbote einer todsicheren Zukunft. Eine Todsicherheit, die für alle gilt. Du läufst Reklame für den Tod. Bist du topfit und am besten noch ein bisschen witzig, dann löst du Erleichterungen aus. Sieh nur, das Alter ist ja gar nicht so schlimm, es geht ja noch vieles und noch lange. Das Entsetzen ist berechtigt wie auch die Erleichterung – sie haben jeweils ein trauriges oder ulkiges Recht. Eine Frage der Blickrichtung. Johanna geht vorübergehend einen andern Weg. Sie schafft sich noch einmal eine satte zeitenthobene Gegenwart in der Cyberwelt. Nur Hunger, Durst, Bauchweh und Geldnot können sie gelegentlich noch zurück in unsere analogen Sphären treiben. Aber das ist auch nur eine Variante einer mehr oder weniger unterhaltsamen Flucht.«
    »Du kannst einen wirklich aufheitern«, sagte Leonie.

Drinnen
    Warum hatte Sexy-Dörte den braven zahngeplagten Jungen in die Bibliothek geführt und nicht in das kleine Zimmer im ersten Stock, das man ihr vorübergehend zugedacht hatte? Da gab es gleich zwei Gründe. Sie wollte den verliebten Jungen nicht in die Nähe ihres Bettes bringen. Er hätte ja auf naheliegende Gedanken kommen können. Dörte hatte undeutlich wahrgenommen, dass er in sie verliebt war, weshalb er ihr jetzt brauchbar erschien für allerlei Dienstbarkeiten. Sie hatte sich in der Vergangenheit nicht für ihn interessiert. (Sie interessierte sich überhaupt nicht sonderlich für andere.) Deshalb hatte sie weder die Leidenschaftlichkeit seiner unzeitgemäßen Anbetung richtig eingeschätzt noch das Ausmaß seiner gleichermaßen unzeitgemäßen Schüchternheit. (Eine Göttin legt man nicht so einfach flach.)
    Der andere Grund: Sie fürchtete, sich lächerlich zu machen. Das Zimmer befand sich im Zustand einer bizarren Unentschiedenheit. Sie hatte bei ihrem Einzug sogleich – kurz nachdem ihre Großmutter Charlotte sie in das Zimmer geführt hatte – allerlei vorgefundenes Mobiliar – drei Gemälde, einen großen Spiegel, eine Konsole und ein Beistelltischchen – in die Abstellkammer geschleppt. Daran war bei einer massiven Louis-Seize-Kommode und einem großen Biedermeierschrank allerdings nicht zu denken, und sie hatte die in ihren Augen scheußlichen Kästen schließlich doch für die Unterbringung von Kleidung und Wäsche in
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