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Nur Mut: Roman

Nur Mut: Roman

Titel: Nur Mut: Roman
Autoren: Silvia Bovenschen
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Für die Jugend ist das eine vorbildgesättigte, zuweilen biochemisch forcierte, artistische, mehr oder weniger öffentliche Show-Veranstaltung, in der Kalkül und Leistung eine Rolle spielen.«
    Leonie machte einen zunehmend matten Eindruck. Das interessiert mich eigentlich nicht, dachte sie. Nein, nein, das interessiert mich überhaupt nicht. Das muss mich auch nicht mehr interessieren. Das habe ich alles längst hinter mir gelassen. Sie hoffte, dass Johanna aufhören möge, so erregt an sie heranzudozieren.
    Johanna zündete sich eine Zigarette an. Dann fuhr sie unbeirrt fort:
    »Du wirst jetzt denken, dass ich so eine typische zeternde Alte bin, die auf die Jugend schimpft – so wie die Alten aller Zeiten immer auf die Jungen geschimpft haben. Ganz falsch! Die sollen sich ruhig überanstrengen. Es geht mich nichts mehr an, ich könnte auch zeitgemäßer sagen: Es geht mir am Arsch vorbei. Die Beschaffenheit meines Arsches hingegen interessiert niemanden mehr, mich am allerwenigsten. Jeder, der ihn nicht sehen muss, kann froh sein. Mich eingeschlossen.
    Nein, ich kritisiere die Jungen nicht, aber ich bin froh, nicht mehr jung zu sein. Ich finde es jedoch auch nicht gut, alt zu sein. Gar nicht gut.«
    Johanna drückte ihre Zigarette aus.
    »Unlösbar. Ein klassisches Dilemma.«

Küche (etwas später)
    Janina hatte begonnen, das Mittagessen (oder wie die Kokette immer sagte: den Lunch) vorzubereiten. Es würde ein Risotto geben. Die Damen bevorzugten leichte Kost. Janina war zu Recht stolz auf ihre Kochkünste. Nur die Junge hatte neulich gemeckert und gefragt, ob es nicht einmal Spareribs geben könne. Janina schüttelte es allein schon bei dem Gedanken daran.
    Janina hatte es eilig. Sie lag gut in der Zeit. Wenn nichts dazwischenkäme, hatte sie gute Chancen, das Haus um 18 Uhr verlassen zu können. Sie musste die eigene Wohnung noch auf Hochglanz bringen. Das Sauberkeitsbedürfnis ihrer Mutter hatte wahnhafte Züge. Jedes Staubkörnchen leuchtete ihr phosphoreszierend entgegen. Sicher hatte Jacub, ihr sechzehnjähriger Sohn, wieder seine Sachen über die ganze Wohnung verstreut. Die müsste sie auch noch wegräumen, bevor die Mutter zu ihrer Wohnungsinspektion schreiten würde.
    Und während Janina gerade gedanklich die einzelnen Arbeitsschritte durchging, die zu Hause auf sie warteten, wurde die Küchentür vehement aufgestoßen, und die Junge stürmte herein.
    »Hey, Janina, ich hab nen Gast, kannste Kaffee machen?«
    Dem Ton nach war das keine Frage, es war eine Aufforderung.
    Janina, ärgerte sich (wie schon so oft), dass die Junge sie duzte.
    »Ja, sicher«, sagte sie und legte das Küchenmesser, mit dem sie gerade Zwiebeln geschnitten hatte, aus der Hand.
    »Brings in die Bibliothek«, sagte die Junge und war auch schon verschwunden.
    Janina wusch sich die Hände und rechnete. Kaffeekochen, die Milch in ein Kännchen füllen, das Zuckerschälchen auffüllen, das Tablett mit dem Geschirr und den beiden Kaffeelöffeln bestücken und in die Bibliothek tragen, und das Gleiche in einer Stunde retour (denn den Rücktransport würde die Junge mit Sicherheit nicht übernehmen) – das kostete insgesamt sicher eine Viertelstunde, wenn nicht mehr. Janina hatte es eilig.
    Und dann steckte die Junge den Kopf noch einmal durch die Tür:
    »Und wenn Kekse noch da wärn …«
    Janina konnte Dörte nicht leiden.

Salon (zur selben Zeit)
    Leonie wunderte sich weiterhin über die ungewöhnliche Redefreudigkeit Johannas. So viele Sätze in geschlossener Folge hatte sie während der gesamten Zeit, in der sie hier wohnte, nicht aus deren Mund gehört.
    Nein, Johanna hatte nicht aufgehört mit dem Dozieren, im Gegenteil, sie hatte in ihren Ausführungen zur Überanstrengung der Jugend immer mehr Fahrt aufgenommen. Ob Leonie denn nicht gemerkt habe, dass die alle ständig aus der Puste seien.
    Als sie wahrnahm, dass Leonie sich ein wenig über die veraltete Wortwahl amüsierte, sagte sie, dass sie mit voller Absicht dieses verwitterte kindische Idiom gewählt habe. Auch Leonie werde sich ja daran erinnern, wie sie als Kinder manchmal um die Wette gelaufen und hernach aus der Puste gewesen seien. Die Betonung läge auf manchmal . Jetzt aber machten sie das ununterbrochen . Schon als Kleinkinder von den Eltern in die Startblöcke gepresst, würden sie vom Kindergarten bis ins Berufsleben in die Gangarten der Beschleunigung gezwungen. Hinein in die Stressberufe mit den englischen Namen, unter denen man sich nichts vorstellen
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