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Nur Gutes

Titel: Nur Gutes
Autoren: Erwin Koch
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meine Mutter nicht, ich rannte ins Zimmer des Vaters, meine Eltern, angeblich, weil er so sehr schnarchte, schliefen getrennt. Ich holte meinen Vater. Der sagte nichts und ging zu Mama. Und ich sehe, wie er sie schüttelt. Er sagt: He, he, aufwachen! Ihren Namen spricht er nicht aus, Katharina. Ich stehe in der Tür des Zimmers meiner Mutter und sehe diesen Mann, meinen Vater, ganz ruhig sitzt der da, anderswo. Eine weiße Unterhose hat er an, nur diese weiße Unterhose. Und sein Glied ist steif und groß. So sitzt der da und schüttelt Mama. Irgendwann rannte er ins Wohnzimmer und rief an. Irgendwann kam die Sanität, drei Leute mit einer Trage, und nahm Mama mit. Vater rief in der Schule anund sagte: Albert kommt heute später, seine Mutter hatte einen Zusammenbruch, die Nerven. Was dann geschah, habe ich vergessen. Cecile, meine Schwester, erzählte mir später, Hand in Hand seien wir in die Schule gerannt, wimmernd und schneuzend. Das habe ich vergessen, ich weiß es nicht mehr. Am Abend war sie tot. Es war kein Herzschlag.›

    ‹S wie Selassie.›

    Albert klopfte beide Hände flach auf den Tisch, er lächelte, versuchte zu lächeln.

    Dagmar stellte die Teller aufeinander, trug sie zur Anrichte, setzte sie, einer hinter dem anderen, in die Spülmaschine. Sie trat an den Tisch, sammelte die Messer, die Gläser, die Tassen ein, Dagmar legte den Käse in den Kühlschrank, schlug das Brot in ein Tuch aus weißem Leinen, schob mit der gekrümmten rechten Hand Krümel vom Tisch, sammelte sie in der hohlen linken.

    Man müsste Albert jetzt fragen, weshalb er einem, die Ehe lang, verschwieg, wie seine Mutter starb -

    ‹Es ist Zeit›, sagte Albert.
    Dagmar stellte die Spülmaschine an.
    Albert sagte: ‹Bis zum Hauptbahnhof reicht das Benzin. Sie legen sich hinten flach auf den Boden, flach und bewegungslos. Haben Sie verstanden, Frau Baumer?›
    ‹Danke›, sagte Anna.
    ‹Ich tu es nicht für Sie›, sagte Albert.
    ‹Ich weiß›, sagte Anna.
    Dagmar, massig geworden, nicht dick, stand neben dem hohen blauen Kühlschrank.
    ‹Vielleicht, Anna, solltest du, bevor du gehst, andere Kleider anziehen, ich glaube, es wäre ganz gut, du zögest dich um, bevor du jetzt gehst. Ich leihe dir, wenn du willst, eine Hose, die mir zu eng ist, ich gebe dir einen anderen Pullover, wenn du willst, alles Dinge, die ich nicht mehr brauche. Lass die Sachen hier, die du heute Morgen anhattest, als du auf Pauls Grab warst, auch die Schuhe, deine Schuhe sind voller Dreck. So kommst du nicht weit, Anna.›
    Anna saß am Tisch und schwieg.
    ‹Ja, das sollten Sie›, sagte Albert.
    Anna nickte.
    ‹Vielleicht›, sagte sie.
    ‹Kommen Sie›, sagte Dagmar, ‹wir gehen ins Schlafzimmer.›
    Anna stand auf und folgte Dagmar ins Schlafzimmer. Albert sah zum Fenster, zur Uhr, es war kurz vor sieben. Die Ellenbogen auf den Tisch gestützt, legte Albert das Gesicht in beide Hände und wartete, er wartete, schloss die Hände zu Fäusten, rieb sich die Schläfen in kleinen gleichen Kreisen.
    Er hörte sie reden.

    Man steht vor der Wahl -
    Albert hörte sie kommen, er rieb sich das Gesicht und hob den Kopf, Albert dachte, hoffentlich sehen sie die Tränen nicht, er lächelte, damit sie die Tränen nicht sahen, Anna trug eine blaue Hose, eine Bluse mit weißem Kragen, einen engen grauen Pullover.
    ‹Die Fingernägel würde ich noch putzen›, sagte Albert leise, ‹und das Gesicht ein bisschen färben.›
    Anna wisse ja, wo das Badezimmer sei, sagte Dagmar. Dort, auf dem Gestell neben dem Spiegel, liege Schminke, dort finde sie alles andere, die Nagelschere, die Nagelfeile, einen Kamm.
    Anna ging in den Flur, ins Bad. Dagmar dreht sich zu Albert, der am Tisch saß und wartete.
    Er hat geweint -

    ‹Soll ich mitkommen?›, fragte sie.
    ‹Ich bitte dich darum›, sagte er.
    Dagmar setzte sich an den Tisch. Meine Eltern schwiegen.

    ‹Das hast du mir nie erzählt, dass deine Mutter sich umbrachte.›
    ‹Simon habe ich es erzählt, vor einer Ewigkeit, als es ihm dreckig ging. Um ihn zu trösten.›
    ‹Weshalb ihm und nicht mir?›
    ‹Weil es zu spät war.›
    ‹Das verstehe ich nicht.›
    Dagmar versteht nicht, Dagmar hat nicht das Talent zu verstehen -
    ‹Du hast dich geschämt, mir vom Selbstmord deiner Mutter zu erzählen.›
    ‹Ja›, sagte Albert.

    Simon Mangold, ich, fünfunddreißig, erwachte. Ich lag auf meinem Bett, die Decke über den Füßen, es war sieben Uhr, der Fernseher lief, Sport am Sonntagabend, Eishockey, mein Kopf
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