Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nur Gutes

Titel: Nur Gutes
Autoren: Erwin Koch
Vom Netzwerk:
beginnen.›
    Dagmar stieß Luft durch die Nase.
    ‹Wer fängt an?›, fragte Anna.
    ‹Anna›, sagte Albert.
    ‹S. Wie Schokolade. Das gilt nicht. Das habe ich schon erzählt. Wie meine Mutter schwarze Schokolade in Wolle wickelte, damit ich strickte und ruhig wurde, ich war so zappelig und hüpfig als Kind. Ich liebte schwarze Schokolade.›
    Sie schwieg.
    ‹Streichholz, S wie Streichholz. Meine Freundin Alina und ich waren beide verliebt in den gleichen jungen Mann, wir waren vierzehn, fünfzehn. Jeden Abend tastete sich der blinde junge Mann durch die Rosenstraße, er hatte einen weißen Stock und tastete sich vorwärts, der Mann war schön und groß, mit langen Haaren. Alina und ich zogen Streichhölzer. Wer das längere zog, durfte den Mann fragen: Hallo Thomas, darf ich dich führen? Er hieß, glaube ich, Thomas, Thomas Gellert. Er sagte nicht nein. Dann nahm ich Thomas an der Hand und führte ihn die Straße hinauf und fragte ihn, wie der Tag gewesen sei, ob er je heiraten möchte, ob er Kinder wolle, solche Dinge. Ob er eine Freundin habe. Seine Hand war warm und stark. Und Alina, die das kürzere Streichholz gezogen hatte, durfte uns folgen und zuhören, aber leise undmit Abstand, damit Thomas nicht hörte, dass wir zu dritt waren. Mit vierzehn teilt man sich noch die Männer.›
    Albert legte sein Gesicht in die linke Hand.
    ‹Nun sind Sie dran›, sagte Anna.
    ‹S›, sagte Dagmar, ‹eine Erinnerung mit S.›
    ‹S wie Sohn, Simon oder Sonntag oder Sansibar.›
    ‹Sandro›, sagte Dagmar. ‹Wir hatten einmal einen Hund namens Sandro, einen Belgischen Schäfer, einen Malinois. Den hatten wir gekauft, damit Simon jemanden zum Spielen hatte, Simon liebte Sandro sehr. Sandro mochte es, wenn man für ihn Stöckchen warf oder Bälle, irgendetwas. Dann rannte er los und brachte es zurück. Einmal kaufte ich eine Schleuder, eine Ballschleuder aus Gummi, also ein Seil, ein kurzes Seil mit einem Ball. Weißt du noch, Albert?›
    ‹Was?›
    ‹Wie wir einmal in Tirol waren, mit Simon und dem Hund. Wie wir irgendwo spazierten, und wie du diesen Ball weggeschleudert hast.›
    Albert lächelte.
    Krank sieht er aus -
    ‹Wie die Schleuder aber nicht aufs freie Feld oder irgendwohin schoss, sondern ans Wegkreuz knallte, neben dem wir standen, in Tirol wimmelt es ja von Wegkreuzen. Und wie der Ball den eisernen Heiland traf, der an diesem Kreuz hing, und ihm einen Arm abbrach und den Kopf. Der Kopf fiel ins Gras, der Arm hing an einer Schraube und baumelte hin und her. Zuerst erschraken wir, dann mussten wir lachen. Noch am selben Tag suchtenwir einen Schlosser und baten ihn, den Heiland zu flicken, ihm Arm und Kopf an den Rumpf zu schweißen. Lange her.›
    Anna lachte.
    ‹Lange her›, sagte Dagmar.
    Sie schwiegen.

    ‹Und du?›, fragte Dagmar.
    ‹Mir fällt nichts ein›, sagte Albert.
    ‹Gilt nicht›, sagte Anna. ‹S wie Säge oder Schaf oder Summton.›
    Wie im Kindergarten, dachte Albert.
    Höchstens Selassie, sagte er, Haile Selassie, der letzte äthiopische Kaiser. Dem habe er vor Jahrzehnten die Hand gereicht, als Haile Selassie, wahrscheinlich auf Staatsbesuch, die Farbenfabrik heimsuchte, wo Alberts Vater das Labor führte. Sein Vater habe ihn, Albert, an jenem Tag mit in die Fabrik genommen, damit Albert einmal im Leben einen richtigen Kaiser sähe, vielleicht den letzten. Er erinnere sich, sagte Albert, wie alle ernst und stumm wurden, als Selassie, in einen bodenlangen Mantel gehüllt, das Labor betrat, ein dünner hoher Mensch mit schütterem Bart und stechendem Blick. Ja, sagte Albert, wenn er sich richtig erinnere, reichte ihm der Kaiser die Hand.
    ‹Da warst du wie alt?›
    ‹Da war ich dreizehn›, sagte Albert.
    Albert hob das Glas und trank.
    ‹Ich war sehr stolz, dass der Kaiser von Äthiopien michberührte. Vater schickte mich nach Hause, es war Abend, früher Abend, ich ging allein nach Hause. Er komme später, sagte mein Vater. Erzähl das deiner Mutter, ich komme später, es gibt hier so viel zu tun, weil der Kaiser hier war, so vieles ist hier liegengeblieben. Wie war es?, fragte Mutter, erzähl. Sie saß in der Küche, meine Schwester Cecile neben sich und eine Flasche Wein. Der Kaiser hat mir seine Hand gereicht, sagte ich, der Kaiser hat gelacht mit kleinen weißen Zähnen. Ja. Ich sagte, mein Vater komme spät nach Hause, es gebe so viel zu tun im Labor, wir sollten nicht auf ihn warten. Mutter sagte: Ich weiß schon, dass er später kommt. Und sie lachte, sie lachte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher