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Nur für Schokolade

Nur für Schokolade

Titel: Nur für Schokolade
Autoren: Jaques Buval
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was andere Kinder in diesem Alter haben. Keine Eltern wie die anderen. Wir haben uns selbst großgezogen, waren stets auf uns selbst angewiesen. So hat einer den anderen beschützt.
    Unser Leben war sehr eintönig: es lohnt nicht, sich daran zu erinnern.
    Jede Großmutter bemüht sich doch, gut zu ihren
    Enkelkindern zu sein. Sie tröstet sie, erzählt ihnen Märchen, spielt mit ihnen und hilft bei den Hausaufgaben. Omas versuchen doch, zu ihren Enkelkindern so zu sein, wie zu den eigenen Kindern. Bei uns gab es das nicht. Unsere Großmutter war eine unruhige Frau. Sie hatte vom Leben nicht das bekommen, was sie sich gewünscht hatte. Sie war sehr
    verbittert, weil ihr Leben nicht so verlief, wie sie es sich vorgestellt hatte. Ihre Wut darüber hat sie an uns ausgelassen.
    Einfach, weil wir da waren. Wir waren so etwas wie Sandsäcke für Boxer.«
    Leszek, der kleine, verschüchterte Junge, kommt in die Schule. Obwohl er sich sehr viel Mühe gibt, schafft er die zweite Grundschulklasse nicht, und er wird in ein Heim für geistig behinderte Kinder gebracht. Dies wurde von der polnischen Gesundheitsbehörde angeordnet, da ihr bekannt ist, 21

    daß weder die Mutter noch die Großmutter den Jungen haben wollen. Seine traurige Kindheit ist vorbei, denn Leszek, der eigenartige Junge, fühlt sich wohl. Es beginnt die glücklichste Phase in seinem Leben. Zum ersten Mal fühlt er sich, als sei er etwas wert. Inmitten der schwer- und Schwerstbehinderten Kinder blüht er auf.

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    Seine Erzieherin Genowefa N. erinnert sich noch heute an ihn:
    »Leszek konnte lesen und schreiben und wollte arbeiten. Ja, er konnte auch richtig sprechen, im Gegensatz zu den anderen Kindern. Er war sehr beliebt bei den Schwestern, da er ihnen sehr viel bei der Arbeit geholfen hat. Ich glaube, er war bei uns sehr gut aufgehoben.«
    Für den kleinen Leszek bricht eine Welt zusammen, als man ihn nach eineinhalb Jahren aus diesem Heim nimmt, in dem er sich so wohlfühlte, in dem er zum ersten Mal Wärme und Geborgenheit erleben konnte. Grund für die behördliche Anordnung: Man ist überzeugt, Leszek entwickle sich inmitten der Schwerstbehinderten zurück. Nun muß er wieder zu seiner ungeliebten Großmutter. Er besucht die Sonderschule und wiederholt die zweite Klasse. Drei Jahre ist er älter als seine Klassenkameraden – sie hänseln ihn nach Strich und Faden. So sucht er immer mehr Kontakt zu Erwachsenen.

    Seine Schuldirektorin Irena M. beschreibt diese Zeit zwanzig Jahre später:
    »Ich sehe diesen Leszek noch heute, wie er auf dem Flur steht, in der für ihn eigenen Haltung: leicht gebeugt, die Hände immer vor seinem Körper. Er war sehr schüchtern und vermied jeglichen Augenkontakt. Er wurde nervös, wenn man ihn ansprach. Sein Blick war stets zu Boden gerichtet, seine Augen unruhig. Da er zu den Klassenkameraden keinen guten Kontakt hatte, suchte er Hilfe bei den Lehrern.«
    Seinen Vater Jozef bekommt Leszek so gut wie nie zu
    Gesicht. Irgendwann muß Leszek erstmals den Drang verspürt haben, sich für alle Demütigungen, die er erlitten hat, zu re-vanchieren. Und langsam beginnt er auch, sich für Mädchen zu interessieren, er, der kleine, pickelige Leszek, über den alle nur lachen. Immer mehr erregt es ihn, wenn er junge hübsche Mädchen sieht – und dieses Gefühl gefällt ihm. Seine Träume, in die er sich flüchtet, werden immer klarer, nehmen Gestalt 25
    an.
    Schließlich träumt der Pubertierende von der vollkommenen Unterwerfung eines weiblichen Wesens. Er verspürt in sich immer mehr das Verlangen nach Macht, einer schier
    unendlichen Gier des Besitzenwollens. Nicht die flüchtige Eroberung eines Mädchens ist, was er will, er sucht auch nicht das Erlebnis einer Nacht. Er ist sich sicher, daß allein seine
    »Männlichkeit« ausreichend ist, einer Frau das Ausmaß seiner Stärke beweisen zu können.
    Sein Verlangen nach Mädchen macht ihm zu schaffen, wird stärker und stärker – und unkontrollierbar. In all den folgenden Jahren versucht Leszek verzweifelt, ein Mädchen zu finden, das ihm allein gehören würde, doch es gelingt ihm nicht.
    Er ist davon besessen, eine Frau zu besitzen: dafür tut er alles. Leszek schreibt Dutzende Antwortbriefe auf Heirats-anzeigen und gibt selbst Annoncen auf, aber alle Bemühungen sind vergebens. Selbst Bittbriefe an Zeitungen, ihm doch bei der Suche nach einem Mädchen zu helfen, bleiben ohne
    Antwort.
    Verzweifelt sucht er Behindertenheime auf und hofft dabei insgeheim,
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