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Nur ein Hauch von dir

Nur ein Hauch von dir

Titel: Nur ein Hauch von dir
Autoren: S. C. Ransom
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der hektischen Betriebsamkeit draußen. Als wir die Kathedrale betraten, war es, als hätte jemand einen Rollladen zum Schutz vor der Helligkeit, den Geräuschen und dem Leben des einundzwanzigsten Jahrhunderts herabgelassen. Während wir uns zusammen mit den anderen durch die Drehkreuze schoben, gewöhnten sich unsere Augen langsam an das gedämpfte Licht. Irgendetwas an der Atmosphäre hier war seltsam einschüchternd, und das ganze erleichterte Gerede darüber, dass die Fahrt vorbei war, verebbte, als wir nach oben in die Höhe des Raums blickten. Ich bemerkte, dass niemand, der hereinkam, unbeeindruckt blieb von den gewaltigen Ausmaßen. In diesem Bereich ist die Kathedrale leer, hier gibt es keine Bänke oder Grabmale, nur eine große freie Fläche des schachbrettartigen Bodens und Säulen, die bis zu der gewölbten Decke aufragen. Ganz egal, wie oft ich schon hier gewesen war, es nahm mir jedes Mal den Atem.
    Grace und ich holten unsere Skizzenblöcke und Lagepläne heraus und sahen uns nach den Monumenten um, die wir zeichnen wollten. Als wir durch das Kirchenschiff gingen, kicherte Grace los.
    »Stell dir mal Lady Di vor, wie sie hier in diesem Kleid langgeht«, schnaubte sie. Ich schauderte. Ich konnte mir nichts Schlimmeres vorstellen, als diesen endlos langen Weg zu gehen, um einen Mann zu heiraten, der einen nicht wirklich liebte – während die ganze Welt dabei zusah.
    »Wenn ich jemals heirate, hau ich an einen Strand ab«, erklärte ich. »Nicht mit so einem gewaltigen Rüschenkleid aufgedonnert, das meine Eltern Tausende kostet.« Mein Vater wäre da vielleicht anderer Meinung, dachte ich amüsiert. Er war der einzige Grund, warum ich mir das ganze weiße Eierschneegetue vielleicht doch überlegen würde. Robs Gesicht flackerte in mir auf, doch als ich auf den Reif an meinem Handgelenk blickte, wurde es sofort von der Erinnerung an das atemberaubende Gesicht verdrängt, das ich gestern Nacht gesehen hatte. Ich schüttelte den Kopf – ich sollte mich besser auf das konzentrieren, was ich hier zu tun hatte.
    Grace und ich kamen in den Mittelteil unter der spektakulären Kuppel der Kathedrale.
    »Boah!«, stieß sie hervor. Die Kuppel war umwerfend, wie sie sich so weit über uns erhaben wölbte. Man konnte ein leises Summen hören und die Leute oben in der Flüstergalerie erkennen, die die berühmte Akustik auf die Probe stellten. Man musste auf dem riesigen Balkon, der um die Innenseite der Kuppel herumführt, gegen die Wand sprechen. Genau auf der entgegengesetzten Seite, mit der ganzen Weite des Bauwerks dazwischen, konnte man dann angeblich das Geflüsterte verstehen. Bei mir hatte das nie funktioniert, doch die Touristen schienen es zu lieben.
    »Ich muss zu Nelson«, murmelte Grace und biss sich auf die Lippe, während sie ihren Plan studierte.
    »Nelson ist in der Krypta. Ich glaube, der Eingang ist dort drüben.« Ich streckte die Hand aus. »Ich bin gleich auch da, ich will mir nur noch was in der Mitte ansehen.« Grace zog los, um das Grab zu finden, und kramte in ihrer Tasche nach einem Bleistift.
    Ich ging langsam weiter, bis ich genau in der Mitte unter der Kuppel stand. Die Stelle war auf dem Boden mit einem großen Mosaikstern geschmückt. Hoch über mir konnte ich die Glasplatte des Gucklochs sehen, doch bevor ich erkennen konnte, ob irgendjemand von dort oben auf mich heruntersah, wurde es mir von der zurückgebeugten Haltung schwindelig. Ich richtete mich wieder auf und erstarrte vor Schreck.
    Direkt vor mir stand der Junge, dessen Gesicht ich letzte Nacht gesehen hatte. In natura sah er sogar noch umwerfender aus: mit einer tollen Figur und strubbeligen dunkelblonden Haaren. Ich bekam kaum noch Luft und kämpfte noch darum, meine Fassung wiederzuerlangen, als ich merkte, dass er mich mit dem gleichen verblüfften Gesichtsausdruck anstarrte wie ich ihn. Er blickte über die Schulter zurück, als wollte er sich vergewissern, dass ich ihn und nicht irgendjemanden hinter ihm ansah. Seine Augen waren von einem überwältigend leuchtenden Blau, und jetzt, wo ich ihn richtig betrachten konnte, sah ich auch den leichten Knick in seiner Nase, als ob sie vor Jahren einmal gebrochen worden war. Während ich ihn anstarrte, wurde mir bewusst, dass mich die Farbe seiner Augen an etwas erinnerte – sie waren von genau demselben Blau wie der Stein in meinem Armreif. Ich glaubte nicht so ganz, was ich sah, berührte unwillkürlich den Reif und warf verstohlen einen Blick darauf.
    Seine Augen
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