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Nur ein Gerücht

Titel: Nur ein Gerücht
Autoren: Sabine Kornbichler
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Müdigkeit in den Hintergrund getreten, spürte ich jetzt den mangelnden Schlaf der vergangenen Nacht, als hätte ich eine Überdosis Baldrian genommen. Ich liebäugelte mit der Vorstellung, einfach in der Badewanne liegen zu bleiben, aber mein Magen machte mich schmerzhaft darauf aufmerksam, dass ich den ganzen Tag über nichts gegessen hatte.
    Nachdem ich mich abgetrocknet und in einen Bademantel gehüllt hatte, bestellte ich mir eine extragroße Portion Nudeln aufs Zimmer. Dann setzte ich mich ans Fenster und schaute aufs Meer hinaus. Bis ich vor fünf Jahren ans Wasser zurückgekehrt war, hatte ich es jeden Tag vermisst. Ich liebte das Geräusch der Wellen und den Wind, der selten zum Stillstand kam. Dem Blick in die Ferne stellte sich hier nichts in den Weg.
    Als es klopfte, schrak ich zusammen. »Herein!«
    Christian kam mit einem Tablett, auf dem nicht nur mein Essen stand, sondern auch eine Flasche Wein und zwei Gläser. Als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, verteilte er alles auf dem Tisch. Ich sah ihm mit unverhohlener Überraschung dabei zu.
    »Ich wusste gar nicht, dass der Zimmerservice auch zu deinen Aufgaben zählt.«
    Während er sich das Arrangement auf dem Tisch besah, sagte er: »In sehr seltenen Ausnahmefällen mache ich sogar Rundumbetreuung.«
    »Fällt das unter Gästebindung?«
    »Mit einer Bindung hat es schon etwas zu tun, mit Gästen weniger.« Er sah mich herausfordernd an. »Und jetzt iss, bevor es kalt wird. « Einladend zog er einen Stuhl vom Tisch zurück und deutete darauf.
    Ich setzte mich, hob die Wärmeglocke vom Teller und sog den köstlichen Duft des Essens ein. Christian setzte sich mir gegenüber und schenkte Wein in die Gläser.
    Ich hielt meinen Blick auf die mit Käse überbackenen Makkaroni gerichtet. »Wie ich gehört habe, reist sie morgen ab. Wirst du sie vermissen?«
    »Nein.«
    »Was war sie für dich?«
    »Eine interessante Frau mit sehr vielen unterschiedlichen Facetten. Mit nicht ganz alltäglichen Gedanken, mit einer gewissen Zerrissenheit und Getriebenheit. Sie gehört zu jenen Frauen, die du unweigerlich wahrnimmst, wenn sie einen Raum betreten.« Er sah mich forschend an. »Was war sie für dich?«
    »Für kurze Zeit war sie eine Vertraute und eine Freundin, aber das ist lange her. Heute sind wir nur noch zwei Menschen, die sich einmal gut gekannt haben.«
    »Würde sie dasselbe von dir sagen?«
    Ich gab einen erstaunten Laut von mir. »Wieso fragst du? Hat sie etwas gesagt?«
    »Nein«, antwortete er mit einem Lachen. »Ich denke nur, dass Menschen die Beziehungen, die sie zueinander haben, sehr unterschiedlich wahrnehmen.«
    Ich ließ meine Gabel sinken. »Du meinst unsere.«
    »Zum Beispiel.« Das Lachen war aus seinen Augen verschwunden. »Ich liebe dich und du ...«
    »Und ich habe Angst davor, jemanden zu lieben«, sagte ich, ohne lange darüber nachzudenken.
    »Du liebst Oskar, und das bereits seit acht Jahren.« Er kam um den Tisch herum und zog mich hoch. Zwischen unseren Körpern hatten nur noch wenige Millimeter Platz.
    Ich versuchte, meinen Blick aus seinem zu lösen, aber es wollte mir nicht gelingen. »Oskar ist ...«
    »Schscht ... «
    Der Kuss auf meine Nasenspitze ging gerade noch als freundschaftlich durch, was man von denen, die folgten, nicht behaupten konnte. »Christian, ich ... «
    Sein Mund war an meinem Hals angekommen, als ihm der Gürtel meines Bademantels langsam aus den Händen glitt. »Die Tür ist unverschlossen, du kannst jederzeit gehen.« Er hielt kurz inne und sah mich mit einer Intensität an, die mein Herz in helle Aufregung versetzte. »Ich bin dir nicht böse, wenn du zum Frühstück nicht mehr hier bist, aber ich hoffe, dass du mich küsst, bevor du verschwindest«, flüsterte er. »Meinst du, das wäre möglich?«
    Mein Bademantel war längst auf dem Boden gelandet und meine Hände hatten einstimmig beschlossen, nicht erst auf mein Einverständnis zu warten, bevor sie sich auf Wanderschaft begaben. »Ich denke schon ... «
    »Du kannst immer noch denken?«, fragte er in gespielter Entrüstung. »Dann mache ich etwas falsch.«
    »Mach einfach weiter«, sagte ich atemlos, »ich sage dir schon, wenn du etwas falsch machst.«
    In dieser Nacht schlief ich höchstens eine Stunde, aber im Gegensatz zu der vorangegangenen hinterließ der Schlafmangel weder Nebel noch Watte in meinem Kopf. Überhaupt war es weniger mein Kopf, den ich an diesem Morgen in aller Herrgottsfrühe spürte. Er war einen beachtlichen Schritt
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