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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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Eiland gewesen, mit einem Kaufladen, einem Schnaps- und einem Eisenwarengeschäft, die sich rechts und links an einige Inselrestaurants schmiegten – ein Ansichtskartenmotiv. Ocean Boulevard hatte seinerzeit nur aus einer Reihe bescheidener Strandhäuser bestanden. Vor denen erstreckte sich ein breiter Streifen von Sanddünen, die sich in behäbigem Auf und Ab am Meeresufer entlangwellten.
    Umso größer war Caras Entsetzen, als sie feststellte, dass die Dünen, auf denen sie einst gespielt hatte, verschwunden waren, zugepflastert für eine Kette von Villen, die einen pastellfarbenen Holzwall bildeten, den Blick aufs Meer versperrten und die einstmals direkt am Strand gelegenen Sommerhäuser auf der anderen Straßenseite zu bloßen Hütten degradierten. Diese wunderschönen neuen, nach den Verwüstungen durch Hurrikan Hugo errichteten Anwesen standen nunmehr sogar noch näher an der Wasserlinie, als wollten sie mit ihrer Arroganz dem Wettergott trotzen, auf dass dieser es ja nicht wagen möge, noch einmal zuzuschlagen. Während ihrer Vorbeifahrt brauchte Cara nur den Kopf von links nach rechts zu wenden, um beide Architekturstile abwechselnd in Augenschein zu nehmen: Schaute sie zur einen Seite, sah sie Häuser, die aus der Zeit vor dem Wirbelsturm stammten, guckte sie zur anderen, erblickte sie die protzigen Villen, die danach errichtet worden waren.
    Dennoch: Manches verändert sich nie, dachte sie, während sie Pelikane beobachtete, die wie eine Bomberstaffel im Formationsflug über sie hinwegzogen. Cara kurbelte die Seitenscheibe herunter und atmete tief die wohltuende Inselluft ein. Es begann bereits zu dämmern, und mit jedem feuchten Windhauch schien es Cara, als werde eine Seite im Buch ihrer Geschichte geräuschvoll zurückgeblättert. Sie erinnerte sich an die Tage, als sie als junges Mädchen über diese Straße geradelt war, als der Wind ihr die Haare zerzaust hatte, sodass die Strähnen wie Bänder geflattert hatten. Noch zwei weitere Häuserzeilen setzte sie ihre Fahrt in südlicher Richtung fort, wobei sie angestrengt Ausschau hielt. Als sie das Haus dann erblickte, verschlug es ihr schier den Atem.
    Primrose Cottage. Mattgelb wie die schwach durch die Dämmerung schimmernden Primeln, von denen es eingerahmt wurde, thronte das anno 1930 in einigem Abstand zur Straße erbaute Sommerhaus auf einer niedrigen Düne. Im Gegensatz zu all den anderen penibel angelegten Grundstücken und Neubauten war das Haus ihrer Mutter nur noch ein schwaches Abbild einstigen Glanzes, im Dämmerlicht, inmitten wogender, hoher Gräser, hellrosa Phloxstauden und gelber Schlüsselblumen, die ihm den Namen gegeben hatten. Wenngleich ein wenig mitgenommen, schien die alte Holzkonstruktion mit dem niedrigen ausladenden Dach und den breiten gemütlichen Veranden dennoch so selbstverständlich hierher zu gehören wie die Fächerpalmen. Zwanzig Jahre war es nun her, seit Cara das Haus zuletzt gesehen hatte, so viele Jahre seit Beginn ihres Weges vom Mädchen zur Frau in den besten Jahren. Sie hielt am Straßenrand an und betrachtete es, und erst jetzt kam es ihr zu Bewusstsein: Während sie sich, gänzlich unempfänglich für die Insel und das dortige Treiben, ihr Leben in Chicago eingerichtet hatte, war dies zauberhafte Häuschen immer da gewesen und hatte ihrer geduldig geharrt.
    Sie legte den ersten Gang ein, tuckerte bedächtig um die Häuserzeile herum bis zur Rückseite des Cottages und lenkte den Wagen in die gewundene, kiesbestreute Zufahrt, wobei sie Acht gab, dass die Räder sich nicht durch die dünne Kiesschicht gruben und im Sand darunter stecken blieben. Beim Anblick des alten, in glänzendem Gold lackierten VW-Cabrios, das vor der Veranda abgestellt war, lachte sie kurz auf. Fuhr Mama etwa immer noch ihren Goldkäfer? Das altmodische Faltverdeck des Cabriolets wirkte wie eine Flagge. Jedermann wusste: Parkte der Goldkäfer in der Einfahrt, dann residierte Olivia Rutledge im Haus, und Besuch war willkommen.
    Cara ließ den Wagen ausrollen und spürte die hinter ihr liegenden Kilometer noch immer in den Knochen. Durch die Frontscheibe schaute sie auf das, was ihr stets Heimat gewesen war. Kam sie etwa selbst nun auch quasi nur noch als Besucherin her? Oder gaben ihr allein die Bande des Bluts schon das Recht, Primrose Cottage als ihr Zuhause zu bezeichnen? Dass sie stundenlang in den Blumenbeeten Unkraut gejätet, die Fenster zum Schutz vor Orkanen mit Brettern verbarrikadiert, jahrelang im Schaukelstuhl vorn auf der
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