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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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zurückversetzt, hinein in den von Mauern umfriedeten Garten ihrer Mutter, in dem eine uralte Magnolie ihre Zweige spreizte und die weißen Blüten der Gardenie mit dem rankenden Jasmin um die Wette dufteten. Dann hatte sie den von ihrer Mutter verfassten Brief geöffnet und gleich die vertraute, lockere Handschrift erkannt.
    Happy Birthday, liebe Caretta
,
    beim Duft der Gardenie muss ich immer gleich an Dich denken. Seit dem Tode Deines Vaters befindet sich alles im Wandel. Nun ist es für mich an der Zeit, wie ich es nenne, mein Haus in Ordnung zu bringen. Komm heim, Cara! Und sei’s auch nur für eine Weile. Nicht in das Haus in der Tradd Street. Komm zum Strandhaus! Dort war es doch für uns immer am schönsten, nicht wahr?
    Sage bitte nicht, Du hättest zu viel zu tun oder keinen Termin frei. Weißt Du noch, wie wir es früher immer hielten? „Lass Dir den Geburtstag nicht aus der Hand nehmen!“ Kannst Du Dir nicht einmal selbst diese Zeit zum Geschenk machen und ein paar Tage mit Deiner alten Mutter verbringen? Bitte, komm nach Hause, mein Schatz! Bald! Dein Vater ist nicht mehr, und wir zwei haben all die Jahre zu besprechen, die sich inzwischen angesammelt haben.
    In Liebe
,
    Mama.
    Möglicherweise war es der Geruch der Gardenien, welcher das plötzliche Gefühl der Einsamkeit auslöste. Vielleicht lag es auch nur daran, dass jemand an ihren Geburtstag gedacht hatte. Oder Ursache war schlicht Caras Niedergeschlagenheit, die daher rührte, dass sie gerade ihren Job verloren hatte. Doch zum ersten Mal, seit sie mit achtzehn die schützenden Arme ihrer Mutter verlassen hatte, verspürte Cara eine jähe, verzweifelte Sehnsucht nach ihr.
    Cara wollte heim. Heim ins Lowcountry, ins Marschland, wo sie einst glücklich gewesen war.
    Cara überquerte den Ashley River sowie den Wando River, bog ein letztes Mal vom Highway ab und steuerte sodann zügig auf eine neue, elegant geschwungene Bogenbrücke zu, die das Festland mit der kleinen, der Küste vorgelagerten Insel namens Isle of Palms verband. Das gesamte Panorama breitete sich vor Cara aus. Von hier aus hatte man einen atemberaubenden Blick auf den endlos blauen Himmel und das von Wasserläufen durchzogene Grün der Marschen und Sümpfe, die sich erstreckten, so weit das Auge reichte. Cara merkte, wie sie beim Betrachten dieser grenzenlosen Weite bereits innerlich zur Ruhe kam. Welten trennten sie plötzlich vom Gedränge und Gehupe der engen Straßen. Geradeaus vor ihr schnitt das glänzende Band des Intracoastal Waterway eine breite, blaue Schneise durch die wogenden Wiesenflächen, und parallel zu dieser Wasserstraße verlief der schmale Hamlin Creek. Bootsanleger säumten, einer neben dem anderen, das Flussufer; meist schaukelte auch ein Boot vertäut an einem Steg.
    Cara erreichte den Scheitelpunkt des Brückenbogens. Urplötzlich lag er in seiner ganzen majestätischen Weite vor ihr: der unermessliche, grenzenlose, blau schimmernde Atlantische Ozean – ein lebendes Wesen, dessen Kraft unter der stillen Oberfläche pulsierte. Cara stockte der Atem, ein Schauer überlief sie, und in diesem zutiefst bewegenden Augenblick begriff sie, dass nach wie vor Salzwasser ihre Adern durchströmte.
    Es war ihre Heimkehr zur Isle of Palms. Selbst der Name zerging auf der Zunge, zauberte Bilder von schwankenden Palmen hervor, von trägen, sonnigen Nachmittagen am Rande der Brandung. Schon seit hundert Jahren diente die Insel den Bürgern von Charleston und Columbia als Zuflucht, wenn die Sommerhitze unerträglich wurde. Früher hatten sie mit der Fähre übergesetzt, in den Kiefern- und Eichenhainen gelagert oder im Pavillon zu den Klängen namhafter Bands getanzt. In späteren Jahren waren Brücken und Straßen gebaut worden, und jeden Sommer nahm die Inselbevölkerung proportional zur Hitze zu. In Kinder- und Jungmädchentagen hatte Cara hier Sommer für Sommer mit ihrer Mutter und Palmer, ihrem älteren Bruder, verbracht. Zu ihren glücklichsten Erinnerungen gehörte eine Zeit, in der sie alle drei, völlig ohne Rücksicht auf die Zeiger der Uhr, in den Tag hinein gelebt und sich lediglich dem Diktat der sengenden Sonne von South Carolina unterworfen hatten.
    Sie hatte zwar gehört, dass die Insel damals, 1989, vom Wirbelsturm Hugo heimgesucht und dem Erdboden gleichgemacht worden war, doch in welchem Ausmaß der Lauf der Zeit das Bild einer Landschaft verändern konnte, das hatte sie sich nicht vorstellen können. Früher einmal war dies ein schläfriges kleines
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