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Nur dieser eine Sommer

Nur dieser eine Sommer

Titel: Nur dieser eine Sommer
Autoren: Mary Alice Monroe
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Faustschlag, als sie erkannte, wie sehr sich ihre Mutter verändert hatte. Olivia Rutledge war eine alte Frau geworden. Unter dem kecken Strohhut lugte ihr Gesicht fahl hervor, die Haut schien schlaff an den hohen Wangenknochen zu hängen, und die blauen Augen hatten ihren Glanz verloren. Obwohl von Gestalt immer schon zierlich und gertenschlank, wirkte Lovie nun jedoch mager.
    Wie konnte das so schnell gehen, fragte sich Cara. Noch vor anderthalb Jahren bei der Beisetzung von Caras Vater war Olivia mit jener Schönheit, jener Anmut aufgetreten, der die Zeit offenbar nichts anhaben konnte. Gewiss ging man mit neunundsechzig nicht mehr als junge Frau durch, doch Cara wollte es nicht in den Kopf, dass ihre Mutter
alt
geworden sein sollte. Olivia gehörte zu den wenigen Glücklichen, die von der Natur mit einer mädchenhaften, schlanken Figur gesegnet worden waren und zudem über ein natürlich schönes Gesicht sowie eine Haut verfügten, die so rein und frisch war wie die so heiß geliebten Wildblumen. Caras Vater pflegte stets zu sagen, er habe Olivia geheiratet, weil sie so süß war, wie sie aussah. Und das stimmte auch. Alle Welt mochte Olivia Rutledge, oder „Lovie“, wie sie von denen genannt wurde, die sie gut kannten. Ihre Tochter jedoch wusste, welchen Preis die Mutter über die Jahre für diese Beliebtheit gezahlt hatte.
    „Wie geht es dir?“ fragte Cara und suchte den Blick der Mutter. „Was macht die Gesundheit?“
    „Ach, alles bestens.“ Olivia quittierte Caras besorgten Unterton mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Gegen den Untergang des Römischen Reiches ist kein Kraut gewachsen. Ich versuche es schon gar nicht mehr.“ Ihre Augen hellten sich auf, als sie zu ihrer Tochter aufschaute. „Aber du! Wenn man dich so anguckt, kann man nur sagen: Du siehst einfach fabelhaft aus!“
    Cara blickte an sich herab, musterte das zerknitterte weiße T-Shirt und die dunklen, in der Taille zwickenden Jeans. An diesem Morgen war sie vor Tagesanbruch aufgewacht, hatte nach einer Katzenwäsche aus Zeitgründen auf Make-up verzichtet und es zudem in Kauf genommen, dass das dunkle Haar ihr ungeordnet auf die Schultern fiel.
    „Von wegen! Meine Sachen sehen verboten aus. Ich rieche nach Schnellimbiss!“
    „Ich finde, dass du toll ausschaust. Ich kann’s noch gar nicht fassen, dass du hier bist! Als du anriefst, um dein Kommen anzukündigen, da bin ich beinahe in Ohnmacht gefallen. Dem Himmel sei Dank, dass du da bist!“
    „Mama, der Himmel hat nichts damit zu tun. Du hast mich in deinem Brief gebeten, dich zu besuchen, und das tue ich hiermit.“
    „Du
magst vielleicht so denken. Aber ich in meinem Alter weiß es besser. Doch lass uns nicht streiten.“ Sie hakte Cara unter und drückte sie sacht an sich. „Ich habe gebetet, dass du heimkommst, und nun sind meine Gebete erhört worden.“ Langsam setzten sie sich Richtung Haus in Bewegung. Lovie wandte den Kopf und betrachtete Cara forschend. „Was guckst du mich so an?“
    „Wie gucke ich denn?“
    „Als hättest du einen Schreck bekommen.“
    „Ich weiß nicht. Du kommst mir verändert vor. Irgendwie … glücklich.“
    „Na! Natürlich bin ich glücklich! Wieso auch nicht?“
    Cara zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung … Wahrscheinlich hab ich nach der Lektüre deines Briefes erwartet, dass du ziemlich einsam bist. Ein bisschen niedergeschlagen vielleicht. Daddys Tod ist schließlich noch nicht lange her!“
    Lovie verzog das Gesicht, und wie üblich vermochte Cara die
    Miene ihrer Mutter nicht zu deuten.
    „Mein Brief sollte eigentlich nicht traurig klingen. Eher ein bisschen wehmütig.“
    „Fehlt Daddy dir sehr?“
    Olivia berührte zart Caras Wange. „Wenn mir jemand fehlt, dann du! Hier ganz besonders! Hier auf der Insel hatten wir immer eine Menge Spaß, oder?“
    Cara nickte. Die Gefühle, die im Tonfall ihrer Mutter mitschwangen, ließen sie nicht unbeeindruckt. „Stimmt. Wir beide, du und ich. Und Palmer.“ Ihren Vater erwähnte sie lieber nicht. Er hatte sich nur selten im Haus am Meer blicken lassen, weil er es vorzog, in der Stadt zu bleiben oder auf Reisen zu gehen. Und obschon das Thema im Familienkreis nie angeschnitten wurde, herrschte doch die stillschweigende Übereinkunft, dass die Sommerferien wegen eben dieser väterlichen Abwesenheit sogar noch gelungener ausgefallen waren.
    „O ja!“ Lovie lachte verhalten in sich hinein. „Und Palmer. Der auch!“
    „Wie geht’s meinem wild verwegenen Bruder?“
    „Mit
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