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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden
Autoren: Kate Pepper
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großen Einfluss auf die Ausrichtung unseres Landes in Umweltfragen genommen hätte. Aber er hatte nicht weitergelebt. Er war tot. Unterwegs, um Ben von seinem Freund abzuholen und anschließend zusammen mit ihm nach Hause zum Abendessen zu kommen,hatte er in einer unübersichtlichen Kurve die Kontrolle über seinen Wagen verloren. Wegen seiner Prominenz gab es nach dem Unfall eine gerichtliche Untersuchung, doch das war reine Formsache. Menschen kamen nun mal bei Autounfällen ums Leben, so etwas passierte. Man hatte mir erzählt, sein Nachruf sei nicht nur auf der Titelseite der
Vineyard Gazette
erschienen, sondern auch in allen großen Zeitungen weltweit. Ich selbst hatte es nicht fertiggebracht, ihn zu lesen.
    Hugo und ich hatten uns in Boston kennengelernt, als wir beide mit dem College fertig waren und er kurz davor stand, sein Jurastudium aufzunehmen. Wir nannten diese Zeit unseren «Spaßsommer», der einzige Abschnitt unseres gemeinsamen Lebens, als wir völlig frei und ungebunden waren. Wir schliefen lange, machten Ausflüge, wenn uns gerade danach war, vertrödelten ganze Nachmittage. Eigentlich war ich in jenem Sommer auf Arbeitssuche, allerdings nicht mit dem nötigen Eifer, denn ich war vollauf damit beschäftigt, mich in Hugo zu verlieben. Wir sahen uns damals sehr ähnlich mit unserem leicht olivfarbenen Teint, den hellbraunen Augen, dem dichten rotbraunen Haar. Von Anfang an schienen wir ganz selbstverständlich zusammenzugehören, er und ich. Wir mochten dieselben Dinge: Reisen, endlose Spaziergänge, Tischtennis, Margaritas am heißen Strand, Milch und Kekse vor dem Schlafengehen, Wanderungen, Sex am Morgen. Während seines Jurastudiums lebten wir bereits zusammen, und ich stolperte von Job zu Job. Nach unserer Hochzeit ließen wir uns auf der Insel nieder, und Hugo eröffnete, allen Unkenrufen zum Trotz, seine Anwaltskanzlei. Ich entdeckte meine Berufung zur Journalistin erst, als Ben schon auf der Welt war und in den Kindergarten ging. Anfangs wagte ich mich nur in kleinen Schritten vorwärts, aber ich hatte ein Gespür für gute Themenund eine ganze Menge Glück. Das flexible Dasein der Freiberuflerin gefiel mir, ich arbeitete gerne zu Hause. Nie hätte ich mir damals vorstellen können, wieder in New York zu sein und für die
Times
zu schreiben. Und nie, niemals, hätte ich mir ein Leben ohne Hugo vorstellen können.
    «Haben Sie denn eine Freundin?», fragte ich Joe, um das Thema zu wechseln.
    Er wurde rot. «Ja, schon. Oder nein, eigentlich nicht. Aber ich hätte gern eine.»
    «Keine Sorge, das kommt schon noch.» Er war wirklich süß. Seine Hoffnungen erinnerten mich an die Euphorie jener Zeit, wenn man als junger Mensch gerade erst beginnt, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
    «Also, was ich mir überlegt hatte», sagte Joe, während über uns ein paar Wolken aufzogen, die kurz darauf wieder verschwanden, sodass uns die Sonne nun umso stärker ins Gesicht schien. Ich beschirmte die Augen mit der flachen Hand, doch Joe blieb ganz ruhig sitzen, ohne sich an Hitze und Helligkeit zu stören. Die Pupille seines linken Auges zog sich in der grellen Sonne auf die Größe eines Stecknadelkopfes zusammen, die rechte, leicht verschobene blieb erweitert. «Vielleicht könnten Sie mich ja für das Praktikantenprogramm der
Times
empfehlen? Natürlich nur, wenn Sie das auch selber wollen. Ich weiß, wie schwierig es ist, da reinzukommen.»
    «Natürlich, wenn das geht. Ich werde mich erkundigen, wie es funktioniert. Dafür müsste ich allerdings erst etwas von Ihnen lesen. Haben Sie irgendwelche Probetexte?»
    «Klar. Ich schicke Ihnen etwas.»
    «Warten Sie, ich gebe Ihnen meine Mailadresse.» Ich wickelte mein halb gegessenes Sandwich wieder in das Wachspapier, griff nach meiner Handtasche und suchte darin nach dem Visitenkartenetui.
    «Die steht doch im Firmenverzeichnis, oder?», sagte Joe. Ich stutzte: Hatte er meinen Namen dort etwa schon nachgeschlagen?
    «Doch, da haben Sie recht.» Ich ließ das Etui wieder in die Handtasche gleiten und warf einen Blick auf die Uhr. «Wir sollten langsam zurückgehen, finden Sie nicht?»
    «Mein Chef sieht das ganz sicher auch so!» Joe lachte, und ich lachte mit.
    Als wir die Wiese schon hinter uns gelassen hatten und am Brunnen vorbei aus dem Park gingen, spielte mein Handy seine vertraute Ragtime-Melodie. Der Anruf kam von einer Handynummer, die ich nicht kannte. Aber da ich am Vormittag überall so viele Nachrichten hinterlassen hatte, wunderte mich
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