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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden
Autoren: Kate Pepper
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schlüpfte und er gezwungen war, in das Abteil hinter mir zu gehen. Ich nahm diese viel zu vertrauliche Geste als Zeichen seiner Unreife. Draußen auf der Straße hielt ich ganz bewusst Abstand zu ihm.
    Was immer die Leute auch behaupten: Wenn man einen Mann und eine Frau zusammen sieht, geht man erst mal automatisch davon aus, dass es sich um ein Date handelt oder zumindest eins werden könnte. Unsere Verabredung war natürlich nichts dergleichen. Trotzdem war mir klar, wie wir auf Kollegen wirken würden, die uns zufällig begegneten. Bei dem Gedanken wurde mir ganz anders. Ein Date! Ich hätte mir niemals träumen lassen, dass ich überhaupt je wieder in die Verlegenheit kommen würde, mich mit Männern zu verabreden. Aber ich war inzwischen seit neunzehn Monaten Witwe, und langsam zermürbte mich die Einsamkeit. Ich hatte mich längst damit abgefunden, dass ich Hugo nicht ersetzen konnte. Hugo, den ich geliebt hatte, immer noch liebte und immer lieben würde. Aber ich war einigermaßen jung und hatte vermutlich noch mein halbes Leben vor mir. Selbst mein Sohn Ben redete mir schon ins Gewissen, mich «ranzuhalten», wie er das ausdrückte. Er hatte sogar die offenkundige Anziehung zwischen mir und seinem Kunstlehrer Rich, einem geschiedenen Vater, bemerkt und unser gegenseitiges Interesse dadurch befördert, dass er dem Lehrer beiläufig erzählte, seine Mutter habe als «Single» abends ja immer ziemlich viel Zeit. Dabei hatte ich eigentlich kaum Zeit: Ich hatte Ben, und ich hatte meine Arbeit. Nur meinem Sohn zuliebe hatte ich Richs Einladung angenommen und mich mit ihm zu einer Art «Arbeitsessen» zwischen Mutter und Lehrer getroffen, wie ich dasdefinierte. Und dann zu einem weiteren. Je öfter ich Rich sah, desto sympathischer fand ich ihn. Mehr war da nicht. Und darauf beschränkte sich mein derzeitiges Privatleben auch schon.
    Was Joe betraf, so hoffte ich inständig, dass er unser gemeinsames Mittagessen nicht als Date betrachten würde. Dafür sprach das Unterhaken allerdings durchaus. Aber ich konnte mich doch unmöglich für einen so viel jüngeren Mann interessieren. Außerdem war es schlicht anmaßend, sich in der Eingangshalle unseres gemeinsamen Arbeitgebers bei mir einzuhaken. Mein Ärger darüber wuchs, als wir die mittäglich belebte 43rd Street entlang zum Deli an der Ecke gingen. Aber ich wollte ihn nicht vor den Kopf stoßen und zeigte nicht, wie verärgert ich war.
    Wir betraten das belebte Lokal und stellten uns an der Theke an. «Das ist mein Lieblingsladen», erklärte ich. Und wie um mich zu bestätigen, hob Brian hinter der Theke den Kopf und zwinkerte mir zu.
    «Roggenbrot mit Thunfisch, Tomate und Salat?», fragte er. Das nahm ich immer, wenn ich am Schreibtisch zu Mittag aß. Mit anderen Worten: fast täglich.
    «Ganz genau.»
    «Und für Ihren Freund?»
    Ich unterdrückte den Impuls klarzustellen, dass Joe keineswegs mein Freund war.
    «Das Gleiche», sagte Joe. Dann fragte er mich: «Und was trinken wir zu diesem wunderbaren Sandwich?»
    «Also,
ich
trinke Grapefruitsaft.» Ich machte einen Schritt zur Seite und nahm mir eine Packung aus dem Kühlregal.
    «Würden Sie mir auch einen mitbringen?»
    Ich reichte Joe seine Saftpackung und trat wieder neben ihn in die Schlange. Seine Unsicherheit störte mich: Er bestellte das Gleiche wie ich, war in allem meiner Meinung.Aber ich wollte die Situation nicht noch unangenehmer machen, als sie ohnehin schon war, und behielt auch das für mich.
    «Sie waren ja heute Morgen gar nicht da», sagte Brian zu mir, während er Joe die eingewickelten Brote reichte.
    «Ich habe ausnahmsweise mal zu Hause mit meinem Sohn gefrühstückt.»
    «Mohnbagel mit Schnittlauchfrischkäse und einen normalen Kaffee!»
    «Zu Hause esse ich ehrlich gesagt meistens Müsli.»
    Joe schob erwartungsvoll den Kopf vor, als lauerte er darauf, noch mehr zu erfahren, vielleicht welche Sorte Müsli ich zu Hause aß. Die Schlange hinter uns wurde immer länger. Ich ging mit den Getränken zur Kasse. Joe legte die Sandwiches dazu und zückte sein Portemonnaie bereits, während ich noch meines hervorkramte.
    «Ich lade Sie ein», sagte er.
    «Danke, aber das kommt überhaupt nicht in Frage.» Ich gab der Kassiererin einen Zehn-Dollar-Schein. «Wir zahlen getrennt.»
    «Dann eben beim nächsten Mal», sagte Joe. Ich wollte ihm vor der Kassiererin nicht widersprechen. Am Ende fühlte er sich noch gedemütigt, weil ich viel mehr verdiente als er und mich ganz sicher nie
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