Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden
Autoren: Kate Pepper
Vom Netzwerk:
das nicht. Ich meldete mich wie immer, wenn ich im Dienst war: «Darcy Mayhew, was kann ich für Sie tun?»
    «Sie wollen Informationen zum Atlantic-Yards-Projekt?» Es war eine Männerstimme. Eine mir unbekannte Männerstimme.
    «Ja, zumindest über ein bestimmtes Grundstück. Wer spricht denn da?»
    «Das erfahren Sie noch. Kommen Sie morgen früh um sechs zum Grundstück. Ich habe Ihnen etwas zu sagen.»
    Bevor ich noch etwas erwidern konnte –
Wer sind Sie überhaupt? Und warum so früh am Morgen? Können wir das nicht telefonisch regeln?
–, hatte er bereits aufgelegt.
    Mir klopfte das Herz bis zum Hals, als ich das Handy wieder einsteckte und neben Joe durch die mittägliche Menschenmenge ging, die seit dem Hinweg kaum weniger geworden war.
    «Alles klar?», erkundigte sich Joe.
    «Ja.»
    «Wenn ich Kinder hätte, würde ich mir die ganze ZeitSorgen um sie machen. Vor allem, wenn ich nicht bei ihnen wäre.»
    Ich sah ihn von der Seite an. Woher wollte er das dann wissen? War seine Mutter etwa übertrieben besorgt um ihn gewesen? Natürlich dachte ich viel an Ben, wenn wir nicht zusammen waren, aber er war inzwischen dreizehn und kam nach den ersten zwei Monaten ganz gut allein in dieser Stadt zurecht. Und ich musste mich an den Gedanken gewöhnen, dass es Zeit wurde, ihm noch mehr Raum zu geben, ihn unabhängiger sein zu lassen.
    «Ich versuche immer, mir möglichst wenig Sorgen zu machen», sagte ich. «Ben ist ein kluger Junge, er macht keinen unnötigen Blödsinn. Und glauben Sie mir, man lernt schnell, dass man sich gar nicht so viele Sorgen machen darf, weil man sonst nämlich durchdreht.»
    «Dann war das also nicht er am Telefon?»
    «Handys sind in der Schule während der Unterrichtszeiten nicht erlaubt. Wie kommen Sie überhaupt darauf? Mein Handy klingelt ständig.» Anonyme Anrufe waren allerdings doch eher selten.
    «Ich wünschte, meins würde auch ein bisschen öfter klingeln.»
    Darauf wusste ich nichts zu erwidern. Und langsam verlor ich auch die Geduld mit Joe. In Gedanken war ich schon wieder bei der Arbeit. Wer war dieser Anrufer? Und was in aller Welt konnte er mir zu erzählen haben, das sich nicht übers Telefon sagen ließ?
    Wir traten durch die Drehtür in die Eingangshalle des Bürogebäudes. Ich war erleichtert, zurück zu sein und dieses Mittagessen hinter mich gebracht zu haben. Ich hatte mein Gewissen beruhigt, mich mit Joe unterhalten und würde auch noch seine Textproben durchlesen, sobald er sie mir schickte. Falls ich es wirklich für angebracht hielt, würde ichseinen Namen anschließend an die Praktikantenstelle der
Times
weitergeben. Danach war ich diesem merkwürdigen jungen Mann zu nichts mehr verpflichtet.
    Wir warteten gemeinsam vor den Aufzügen. Ich musste nach oben in die Redaktion, er nach unten in die Poststelle. Die Lichtanzeige kündigte an, dass mein Aufzug als erster kommen würde.
    Dann öffnete sich die Aufzugtür mit einem Pling. «Es war eine nette Mittagspause», sagte ich beim Einsteigen zu Joe. «Vielen Dank.»
    «Vielleicht können wir das ja mal wiederholen.»
    «Vielleicht. Ich habe in nächster Zeit zwar ziemlich viel zu tun, aber wir werden sehen.» Die Aufzugtür schloss sich wieder.
Gott sei Dank
. Dabei war es im Grunde wirklich eine nette Mittagspause gewesen. Ich wusste selbst nicht, warum ich so froh war, ihn los zu sein. Aber ich war froh.
    Als ich kurz nach zwei wieder in die Redaktion kam, herrschte dort reger Betrieb. Nachmittags überschnitten sich die beiden Schichtdienste: Die Tagesreporter beendeten ihre Arbeit, während die Spätschicht bereits loslegte. Und Leute wie ich, die ganz normale Arbeitszeiten hatten, verzehrten ihr Mittagessen am Schreibtisch oder kamen aus der Pause zurück. Wobei «normal» ein durchaus irreführender Begriff war, denn schließlich hörten wir eigentlich nie richtig auf zu arbeiten. Wo wir gingen und standen, hatten wir unsere Firmenlaptops dabei, und einige Reporterkollegen behaupteten sogar, sie nachts mit ins Bett zu nehmen. Tastaturen klapperten, Stimmen schwirrten durch den Raum, und obwohl wir im Zeitalter der Computerdokumente lebten, bedeckte massenhaft Papier die Schreibtische wie Herbstlaub. Die Arbeitsplätze waren dicht beieinander. Die Gänge, die dazwischen hindurchführten, waren in regelmäßigen Abständen von tragenden Säulen unterbrochen, an denenUhren, Kalender und Landkarten hingen. Private Inspirationsquellen wie Familienfotos und Kinderzeichnungen, die dem Arbeitsplatz etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher