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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden
Autoren: Kate Pepper
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Einsamkeit waren ganz natürliche Gefühle nach dem Tod eines geliebten Menschen. Letztendlich half uns dieses Wissen auch nicht weiter; trotzdem sagte ich mir immer und immer wieder vor, wie normal unsere Reaktionen waren, wie ein Mantra, um mich damit zumindest ein bisschen zu beruhigen.
    Ben räumte den Tisch ab, während ihm der grob geschätzt zwei Tonnen schwere Schulrucksack von einer Schulter hing und ihn ein ganzes Stück nach rechts zog. Mir lag die Bemerkung auf der Zunge, dass dieses ungleich verteilte Gewicht irgendwann zu Rückenproblemen führen würde. Aber ich beherrschte mich.
    «Wie viel Hausaufgaben hast du denn heute noch?»
    «Keine Ahnung. Schon ’n paar.»
    «Ich muss morgen übrigens sehr früh los.»
    «Okay.»
    «Nein, ich meine richtig früh. So gegen Viertel vor sechs.»
    «Boah! Dann weck mich aber bloß nicht auf.»
    «Keine Sorge. Ich möchte nur, dass du abschließt und auf jeden Fall das Handy mit zur Schule nimmst und   …»
    «Ja, Mom, schon klar. Ich hab’s kapiert.»
    Ich lächelte meinen Sohn an. Er nickte und grinste zurück, dann ging er aus der Küche ins Wohnzimmer, wo die Treppe zu unseren Schlafzimmern hinaufführte.
    «Ich komme auch in ein paar Minuten rauf», rief ich ihm nach, doch er reagierte nicht, und ich war mir nicht sicher, ob er mich gehört hatte. Egal. Ich hatte mich nun einmal dazu entschieden, für ihn da zu sein, ständig verfügbar, wann auch immer er mich brauchte. Ihn zu lieben, ganzgleich, was er sagte und wie er es sagte, ganz gleich, wie er sich anzog, sich verhielt, ob er mir zuhörte. Weiter mit ihm zu reden, ohne ihm die Schweigsamkeit vorzuhalten, die er mir oft aufzwang, wenn er mir nicht antwortete oder nicht ans Handy ging. Er war in der Pubertät und zeigte mir seine Liebe nur, wenn ihm gerade danach war. Ich wusste, dass er mich brauchte. Und ich würde nie, niemals vergessen, dass dieser Junge seinen Vater verloren hatte.
    Ich beförderte die Reste von meinem Teller in den Mülleimer, wo die Knochen auf der duftenden Rinde der Cantaloupe-Melone vom Morgen landeten. Mitzi und Ahab, unsere beiden Katzen, kamen angesaust, weil sie grundsätzlich davon ausgingen, dass Geräusche in der Küche Futter bedeuteten. Ich kraulte sie an Kopf und Rücken, streichelte ihnen den Bauch, und nachdem sie sich überzeugt hatten, dass es auch heute keine zweite Abendportion geben würde, trollten sie sich wieder. Ich spülte ab und löschte das Licht in der unteren Etage.
    Bens Zimmertür war zu, ich hörte Musik und sah Licht unter der Tür durchschimmern. Wahrscheinlich lernte er – oder bereitete sich langsam auf das Lernen vor.
    Nachdem ich mich gewaschen und mein Nachthemd übergestreift hatte, machte ich es mir mit dem Notebook auf dem Schoß im Bett gemütlich. Ich gab Zeit und Ort des frühmorgendlichen Treffens in meinen Terminkalender ein, und bestellte dann drei Jeans für Ben in einem Onlineshop, als Ersatz für die, die ich vor einem halben Jahr bestellt hatte und aus denen er schon wieder herausgewachsen war. Dann checkte ich meine Mails – es war nichts Wichtiges dabei – und schrieb selbst eine Mail an Sara, meine beste Freundin und einer der vielen Schätze, die ich auf der Insel zurückgelassen hatte. Kaum hatte ich den Text abgeschickt, öffnete sich das Chatfenster auf dem Bildschirm, um mir anzuzeigen, dass sie ebenfalls online war. Wir telefonierten abends so gut wie nie, um die schlafenden Kinder nicht zu stören, aber die späten Chats waren zu einer lieben Gewohnheit geworden.
    «Und?», nahm sie den Faden unserer letzten Online-Unterhaltung wieder auf.
    «Was und?»
    «Hast du ihn wiedergesehen?»
    «Wen?»
    «Sag schon, hast du?»
    «Nein.»
    «Wäre ja auch ‹unprofessionell›, mit dem Lehrer deines Sohnes auszugehen.»
    «Muttersein ist kein Beruf, sondern eine Berufung!:-)»
    «Haha. Wenn du ihn jetzt öfter siehst, muss ich wohl mal vorbeikommen und mich überzeugen, dass er auch der Richtige für dich ist.»
    «Mach das bitte bald. Du fehlst mir. Wie geht’s den Kindern?»
    «Bestens. Sie schlafen. Du fehlst mir auch. Und dieser Typ arbeitet jetzt also bei der
Times
? Ich konnt’s ja kaum fassen, als deine Mail gerade kam   … Bist du ganz sicher, dass er es ist?   … Er war schon ein bisschen seltsam.»
    «Ein bisschen, ja.»
    «War’s denn ein nettes Mittagessen?;-)»
    «Hör sofort auf!»
    «Ich werde ihn hier jedenfalls nicht vermissen. Irgendwie fand ich ihn unangenehm.»
    «Ja, ich weiß, was du
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