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Nur 15 Sekunden

Nur 15 Sekunden

Titel: Nur 15 Sekunden
Autoren: Kate Pepper
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auf. Abe Starkman verstummte. Seine Augen hinter den Brillengläsern waren milchig blau. Kein Muskel regte sich in seinem Gesicht, nur die Schweißperlen sammelten sich wieder auf seiner Stirn. Er schien ein Mensch zu sein, der sich streng an Vorschriften hielt, ein Paragraphenreiter, ein echter Bürokrat. Es bereitete ihm sichtlich Unbehagen, aus dem Nähkästchen zu plaudern und dann auch noch zu sehen, wie ich alles, was er sagte, aufschrieb. Ich steckte den Block wieder ein.
    «Der Mann, der Sie anrufen wird, wird Ihnen erzählen, man habe versiegelte Behälter mit giftigen Chemikalien gefunden. Er wird Ihnen sagen, dass man nicht genau weiß, was die Behälter enthalten, und sich die Behörde noch nicht sicher ist, ob Teile des Inhalts in den Boden gesickert sind. Er wird Ihnen sagen, man habe die Arbeit auf dem Grundstück eingestellt, bis das abgeklärt sei. Und er wird Ihnen sagen, man handele in unser aller Interesse, im Namen der öffentlichen Sicherheit. Er wird Sie an das Entsorgungsunternehmen Russet Cleanup verweisen. Dort werden Sie dann weitere Lügen zu hören bekommen.»
    Auf der Flatbush Avenue rasten, begleitet von einem Hupkonzert, zwei Autos vorbei.
    «Die Wahrheit ist, dass die Arbeiten eingestellt wurden, weil die Bauarbeiter Knochen gefunden haben.»
    «Knochen?»
    «Menschliche Knochen.»
    «Verstehe.» Dabei verstand ich eigentlich gar nichts. «Und warum sagen sie nicht einfach die Wahrheit?»
    «Weil die Wahrheit ihnen Angst macht. Sie könnte nämlich weitere Wahrheiten zutage fördern, die die Baubehörde ruinieren würden. Vielleicht sogar die ganze Stadtverwaltung.»
    Ich warf einen Blick auf das Grundstück, dessen orangefarbene Begrenzung im Dämmerlicht leuchtete, und sah, dass der Boden ganz glatt geharkt war.
    «Wie viele Knochen denn?»
    «Siebzehn. Bisher wissen wir nur, dass sie von mindestens drei verschiedenen Personen stammen.»
    «Wurde schon jemand identifiziert?»
    «Nein, bisher noch nicht. Die Knochen sind alt, auch wenn man sich nicht sicher ist, wie alt genau.»
    «Monate? Jahre?»
    «Jahrzehnte. Womöglich auch älter.»
    «So alt, dass es sich um Überbleibsel früherer Siedlungen handeln könnte?» Als ich das aussprach, kam es mir selbst sehr unwahrscheinlich vor. Weshalb sollten historische Knochenfunde eine Bedrohung für die derzeitige Stadtverwaltung darstellen?
    «Das ist nicht sehr wahrscheinlich, aber möglich ist alles. Die Fabrik wurde 1978 gebaut, die Knochen müssen also mindestens seit damals dort liegen.»
    «Und was für andere Möglichkeiten gibt es Ihrer Meinung nach, Abe?»
    «Sie sind sich doch darüber im Klaren, dass es sich um bloße Vermutungen handelt?»
    «Natürlich.»
    «Neunzehn der an diesem Projekt beteiligten Grundstücke, darunter auch dieses hier, wurden dem Bauträger, Livingston & Sons, von einer Firma namens Metro Partners verkauft. Aber Metro ist nur eine Briefkastenfirma   … die Tony Tarentino als Fassade dient.»
    Tony T., wie er allgemein genannt wurde, war der Boss der hiesigen Mafia. Im Jahr zuvor war einer seiner Schergen wegen Schutzgelderpressung verhaftet worden; sein Prozess vor dem Bundesgericht in Brooklyn stand unmittelbar bevor. In der letzten Woche war das ein paar Minuten lang Thema Nummer eins in der Nachrichtenredaktion gewesen, bis wir uns wieder anderen Dingen zugewandt hatten.
    «Es war kein ganz einfacher Geschäftsabschluss. Die Stadtverwaltung musste sich einschalten, um bei den Verhandlungen Hilfestellung zu leisten.»
    «Enteignungsklagen sind nun mal nicht einfach.»
    «Damit rechnen wir ja auch. Aber als Tony endlich bereit war zu verkaufen, war der Marktwert um einiges unterschritten.»
    «Und warum?»
    Abes Mundwinkel hoben sich zu einer Art Lächeln, und die plötzliche Bewegung verwandelte sein Gesicht in eine zynische Maske. Wobei zynisch vielleicht gar nicht das richtige Wort war. Resigniert traf es besser. Sein Dilemma war das eines Beamten im öffentlichen Dienst, den sein Gewissen dazu zwingt, die eigene Behörde zu diskreditieren. So wirkte er zumindest auf mich. Bis gestern hatte ich jedoch nicht einmal gewusst, dass Abe Starkman existierte; wie konnte ich seinen Informationen vertrauen?
    «Wie lauten die Verkaufsbedingungen?», fragte ich.
    «Im Augenblick habe ich noch keine Details, aber ich höre mich weiter um. Es ist allerdings kein Geheimnis, dassder Bürgermeister seine Leute drängt, alles zu tun, was möglich ist, um das Atlantic-Yards-Projekt zu verwirklichen. Es soll das
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