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Nullpunkt

Nullpunkt

Titel: Nullpunkt
Autoren: Lincoln Child
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und riss den Mund weit auf, doch wenn er einen Schrei ausstieß, so ging er vollkommen unter in dem unaussprechlichen Sperrfeuer aus Lärm. Auch Marshall schlug instinktiv die Hände über die Ohren zu einer ungenügenden Verteidigung gegen den alles durchdringenden Schall. Vor seinen Augen tanzten Flecken, und er spürte, wie er das Bewusstsein zu verlieren begann.
    Die Bestie versteifte sich. Ein weiteres heftiges Zittern durchlief ihren Körper von den Vorderpfoten bis zu den Hinterläufen. Sie hob den Kopf, riss das furchtbare Maul weit auf und bleckte die noch von Sullys Blut triefenden Fänge. Dann drehte sie den Kopf zur Seite, und ihre Kiefer krachten einmal, zweimal mit furchtbarer Wucht gegen das Geländer des Laufstegs. Ein Ruck ging durch die Kreatur, so als mache sie Anstalten, sich zurückzuziehen.
    Und dann explodierte ihr Schädel direkt vor MarshallsAugen. Es war eine Eruption von Hirn und Blut, die sie von oben bis unten besudelte. Funkensprühend und rauchend stotterte der Schallgenerator und verstummte schließlich ganz.
    Einen langen Moment stand Marshall einfach da. Er zitterte am ganzen Leib. Dann sah er zu Logan. Der Historiker erwiderte seinen Blick. Blut sickerte aus seinen Ohren. Er sagte etwas, doch Marshall konnte nichts hören. Er konnte überhaupt nichts hören. Er wandte sich ab, stieg über die reglose Kreatur, aus deren geplatztem Schädel immer noch schwarzes Blut sickerte, und ging mit bleiernen Gliedern nach draußen, den langen Korridor hinunter in Richtung der Luke, die den wissenschaftlichen Bereich von der restlichen Basis trennte. Mit einem Mal verspürte er einen gewaltigen Drang, diesen dunklen, entsetzlichen Ort hinter sich zu lassen und saubere, klare Luft zu atmen. Er spürte mehr, als dass er hörte, wie sich ihm Logan und Usuguk anschlossen.
    Langsam und bedächtig bahnten sie sich ihren Weg hinauf zur Oberfläche, durch die D-Ebene , die vertrauteren Bereiche der B-Ebene bis zur dunklen, verlassenen Eingangshalle. Noch immer taub und getränkt vom Blut der Kreatur, durchquerte Marshall die Wetterkammer, ohne sich die Mühe zu machen, einen Parka anzulegen. Er stieß die Doppeltür des Vorraums auf und trat hinaus auf den betonierten Vorplatz.
    Es war dunkel, doch am Horizont verkündete ein erster blauer Lichtschein, dass es nicht mehr lange dauern würde bis zur Morgendämmerung. Der Sturm hatte sich gelegt, und am Himmel waren die Sterne aufgegangen und tauchten den Schnee in einen gespenstisch glitzernden Lichtschein. Marshall erinnerte sich vage an ein Sprichwort der Inuit, nach dem die Lichter am Himmel keine Sterne waren, sondern Öffnungen,durch die ihre Vorfahren auf sie herunterlächelten, um ihnen zu zeigen, dass sie glücklich waren. Er fragte sich, ob Usuguk diesen Glauben teilte.
    Wie zur Antwort berührte der alte Schamane Marshalls Arm. Als Marshall ihn fragend ansah, deutete Usuguk wortlos mit dem Finger himmelwärts.
    Marshall blickte nach oben. Das tiefe, unirdische Rot der Nordlichter, jener Lichter, die sie seit Beginn des Albtraums heimgesucht hatten, verblasste. Noch während Marshall hinsah, erlosch es vollständig, und nur der schwarze Sternenhimmel blieb zurück. Nicht der kleinste Hinweis verriet, dass es je existiert hatte.

53
    «Mr. Fortnum? Ich bin es, Penny. Wie sieht es aus bei Ihnen dahinten?»
    Diesmal dauerte es eine Weile, bis die Antwort kam.
«Wir frieren. Es ist sehr kalt geworden.»
    «Halten Sie durch», sagte sie in das Funkgerät. «Wir sind nur noch …», sie warf einen fragenden Blick zu Carradine.
    «Dreißig Kilometer», murmelte der Trucker. «Falls wir es schaffen.»
    «Dreißig Kilometer», sagte Penny Barbour in das Funkgerät, dann hängte sie das Handstück wieder zurück. «Wir müssen es schaffen. Wie viel Sprit haben wir noch?»
    «Der linke Tank ist sehr schnell leer geworden.» Carradine tippte auf das Anzeigeinstrument. «Fünfzehn Kilometer müssten wir noch schaffen.»
    «Selbst wenn wir liegen bleiben, die restlichen fünfzehn können wir laufen.»
    «In dem
da draußen
?» Er zeigte durch die Windschutzscheibe auf das vor ihnen liegende Ödland. «Tut mir leid, Ma’am, aber so durchgefroren, wie die dahinten jetzt schon sind, halten sie keine zweihundert Meter durch.»
    Penny Barbour sah durch die Scheibe nach draußen. Am Horizont zeigte sich ein erster roter Lichtschimmer. Der Sturm klang rasch ab, der Wind war praktisch zum Erliegen gekommen, und die umgebende Landschaft lag unter einer Decke von
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