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Nudeldicke Deern

Nudeldicke Deern

Titel: Nudeldicke Deern
Autoren: Groener Anke
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da kam auch schon die Mutter zurück, und er sagte zu ihr: «Ich habe der Frau eben erzählt, dass ich zum Zahnarzt gehe.» Und ich habe angefangen zu flennen, ohne zu wissen, warum. Bis mir klar wurde, dass ich darauf gewartet habe, dass er sagt: «Ich habe der
dicken
Frau eben erzählt, dass ich zum Zahnarzt gehe.»
     
    Ich bin so vieles. Ich bin klug. Ich bin unterhaltsam. Ich bin meistens freundlich. Ich habe ein Talent, mit dem ich Geld verdiene. Und ich bin dick. Und an schlechten Tagen ist alles andere egal, dann bin ich nur dick, und ich glaube, dass der ganze Rest der Welt auch nur denkt, dass ich dick bin und nichts anderes.
     
    Ich hasse es zu schwitzen, weil ich nicht will, dass alle denken, dass Dicke immer schwitzen. Ich arbeite besonders hart, weil ich nicht will, dass alle denken, Dicke seien faul. Vielleicht kaspere ich auch nur rum, weil ich die lustige Dicke sein will und nicht die traurige Dicke, obwohl ich das jahrelang war. Es ist unglaublich anstrengend, immer vorausahnen zu wollen, was der Rest der Welt wohl denken könnte, um schon im Vorfeld darauf zu reagieren. Ich dachte lange, dass alle das so machen, dass jeder sich dauernd und sekündlich fragt: Ist alles in Ordnung? Störe ich gerade niemanden, weil ich so bin, wie ich eben bin?
    Was für ein Blödsinn.
     
    Im Moment hadere ich nicht mal so sehr mit dem Dicksein; das ist auch immer tages- oder monatsformabhängig. Ich weiß, dass ich dick bin, aber im Moment weiß ich auch, dass ich innerhalb meiner Parameter gesund bin, dass ich gut in meinem Job bin, eine puschelige Beziehung führe, eine schöne Wohnung habe und dass morgen die Sonne wieder scheint. Ich weiß auch, dass ich gut mit meinem Kollegenkreis klarkomme, dass ich Freunde und Freundinnen habe, und im Moment reicht das, und das Dicksein ist einfach nur eine weitere Facette, die eben zu mir gehört.
    Klar, wenn eine Fee mit ihrem Zauberstab käme und mich fragen würde, was ich außer Weltfrieden und Gleichberechtigung gerne hätte, würde ich sofort sagen: Konfektionsgröße 42 für immer. Weil’s einfacher wäre. Weil dir niemand mehr Sprüche reindrückt, die du nicht verdient hast und die jedes Mal weh tun. Was man sich aber natürlich nicht anmerken lassen darf, um dem Sprüchewichser nicht die Genugtuung zu geben, dass er einen getroffen hätte. Hey, Labernase: Bei einem Dicken den wunden Punkt zu finden, IST NICHT WIRKLICH SCHWIERIG . Idiot.
     
    Aber im Moment stört mich die größere Zahl nur wenig, zum Beispiel wenn ich Klamotten ohne Teddybärapplikationen kaufen will oder mal Mädchenshirts und nicht immer die Jungsvariante, weil mir die nun mal passt. Im Moment ist alles gut. Und ich wünschte, ich hätte der jungen Frau all das in drei Worten sagen können, anstatt so doof zu fragen: «Ist alles in Ordnung?», während ihr das Make-up verläuft.
    «The human frame being what it is, heart, body and brain all mixed together, and not contained in separate compartments as they will be no doubt in another million years, a good dinner is of great importance to good talk. One cannot think well, love well, sleep well, if one has not dined well.»
    Virginia Woolf, «A Room of One’s Own»

[zur Inhaltsübersicht]
Das dicke Kind, das nicht dick war
    Im Nachhinein würde ich gerne meiner alten Kinderärztin eine reinhauen. Ich erinnere mich noch gut an ihr Wartezimmer, in dem ich immer mit Magnetbuchstaben sinnloses Zeug an die Klebetafel geschrieben habe (was man eben so macht, wenn man noch keine Ahnung hat, was Buchstaben sind). Ich erinnere mich daran, dass der graue Linoleumfußboden immer viel zu kalt war und ich mit einer kleinen Trittleiter auf die Liege klettern konnte. Es gab eine Messlatte an der Zimmerwand, an die ich mich stellen musste. Eine mechanische Waage, deren Metallgewichte lustig klackerten, wenn die Ärztin sie nach rechts oder links bewegte, um mein Gewicht zu ermitteln. Und es gab eine Süßigkeitenschublade, in die ich reingreifen durfte, nachdem ich gemessen und gewogen worden war. Die Masse an roten und gelben Lutschern war einer der Gründe, warum ich diesen seltsamen Firlefanz überhaupt halbwegs würdevoll über mich ergehen ließ.
    Umso seltsamer finde ich es im Nachhinein, dass ausgerechnet die Tante mit der Süßigkeitenschublade meiner Mutter irgendwann sagte, dass ich zu dick sei. Wenn ich mir meine alten Kinderfotos anschaue, kann ich das allerdings nicht bestätigen. Ich war sicher kein dürres Kind, aber eben auch kein
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