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Nudeldicke Deern

Nudeldicke Deern

Titel: Nudeldicke Deern
Autoren: Groener Anke
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schwergewichtiges. Ich sah, und ich benutze das Wort mit Vorsicht, weil jeder darunter etwas anderes versteht, völlig normal aus. Wahrscheinlich hätte ich keinen Werbevertrag mit «Brot für die Welt» bekommen, aber auch keinen für eine Abspeckfarm für Kleinkinder. Ich sehe auf den Bildern nicht mal pummelig aus, oder was es sonst noch für niedliche Ausdrücke gibt, mit denen man Kinder beschreibt, die noch ein bisschen Babyspeck mit sich herumschleppen, sondern eben normal.
    Model-schlank war ich als Kind oder Heranwachsende allerdings auch nicht. Genauso wenig wie meine Schwester. Oder meine Mutter. Oder meine beiden Großmütter. Wenn ich mir meine Ahnengalerie auf den abgegriffenen, teilweise sepiafarbenen Fotos anschaue, würde ich so ziemlich jede Frau darin als «kräftig» bezeichnen. Und das ist jetzt keine euphemistische Umschreibung von «dick» – das wäre so was Albernes wie «Rubensfrau» oder «Vollweib», was mir bitte niemals jemand an den Kopf werfen sollte, der keinen entgeisterten Blick von mir kriegen möchte –, sondern es ist eine schlichte, wertfreie Umschreibung: Meine weiblichen Vorfahren waren durch die Bank weg etwas breiter gebaut als Gisele Bündchen. Wobei so ziemlich jede Frau auf dieser Welt etwas breiter gebaut ist als Gisele Bündchen, aber du weißt, was ich meine.
     
    Es gibt Tabellen und Statistiken, die besagen, wie schwer ein Kind bei einer bestimmten Größe sein darf oder sollte. Ich bin mir nicht sicher, wie damals diese Grenzwerte ermittelt wurden und wie groß der Spielraum war, in dem ich mich theoretisch hätte bewegen dürfen, aber anscheinend war ich außerhalb dieses Spielraums. Also zu dick. Vielleicht nur ein paar hundert Gramm, aber zu dick. Nicht der Norm entsprechend oder dem Durchschnitt. 40 Jahre später finde ich es fast lustig, dass man dauernd irgendeiner Norm entsprechen muss, wo wir uns doch jeden Tag so viel Mühe geben, bloß individuell zu sein und anders als die anderen. Wenn es ums Gewicht geht, ist das offenbar anders. [3] Da sollen wir bitte alle gleich sein, ganz egal ob unsere Vorfahren auch schon anders aussahen oder wir vielleicht gerade etwas Besseres zu tun haben als in irgendwelche Schemata zu passen. Heute rege ich mich über so was auf; damals war ich fünf, hatte keine Ahnung und war zu dick. Selbst wenn ich nicht so aussah.
    Mit dieser ärztlichen Fehleinschätzung bin ich übrigens nicht alleine. Das Internet versorgt uns täglich mit neuen Weblogs, in denen Menschen ihre Geschichte erzählen. Aus persönlichem Interesse lese ich viele Blogs von Frauen, die mit ihrem Körper hadern. Und bei so ziemlich allen gab es irgendwann in der Kindheit einen Arzt oder eine Ärztin, die den Eltern sagte, der Nachwuchs sei zu fett, was er in vielen Fällen wahrscheinlich genauso wenig war wie ich. Trotzdem definiert uns diese Einschätzung. Wir fangen schon im Kindesalter an, unseren Körper zu beobachten, denn wir wissen ja nun von offizieller Seite: Er ist anscheinend nicht in Ordnung. Essen ist keine Handlung mehr, die sein muss – wir können nun mal nicht ohne Nahrung überleben – oder die man lustvoll zelebrieren kann. Stattdessen bekommt Essen eine unangenehme Konnotation: Pass auf, was du isst. Iss die richtigen Dinge. Nimm dich zurück. Hör nicht auf deinen Hunger. Ich bin mir sicher, dass ich heute nicht so dick wäre, wenn ich nicht schon sehr früh eingeimpft bekommen hätte, dass es gute und schlechte Lebensmittel gibt. Und ich bin mir auch sicher, dass ich mich nicht jahrelang fürchterlich mies gefühlt hätte, weil mein Körper mir nicht gehorcht, wenn ich nicht sehr früh gehört hätte, dass der Körper etwas ist, das mir gehorchen soll, das man formen kann, ändern, ver-ändern. Dass ich meinen Körper ändern
muss
, damit er «normal» ist.
     
    In meiner Familie gab es recht wenige Fertigprodukte, deren Fett- und Zuckergehalt mich zum kleinen Klops hätten werden lassen können. Fischstäbchen, klar, und Kakaopulver für die Milch zum Frühstück, die jetzt gegen ungesüßten Früchtetee ausgetauscht wurde. Nicht Iglo, sondern Oma belieferte uns aus ihrem Gemüsegarten mit Mohrrüben, Bohnen, Erbsen und Kartoffeln. Bei uns im Garten standen Stachelbeersträucher, und es wuchsen Erdbeeren und Johannisbeeren. Und es gab Apfelbäume, deren Früchte zu meinem heißgeliebten Apfelmus verarbeitet wurden. Ich weiß noch, dass ich Zwergengourmet mir mal einen Riesentopf Apfelmus für mich ganz alleine zum Geburtstag
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