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Nudeldicke Deern

Nudeldicke Deern

Titel: Nudeldicke Deern
Autoren: Groener Anke
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gewünscht habe. Und wenn ich mich richtig erinnere – da bin ich mir aber nicht mehr so sicher –, habe ich nicht nur den Riesentopf bekommen, sondern auch fiese Bauchschmerzen.
     
    Meine Mutter kochte nicht aus Überzeugung nicht mit Fertigprodukten, sondern schlicht, weil sie zu teuer waren. Es gab kein Nutella und keine Cola – ebenfalls nicht aus Überzeugung, sondern weil ein Arzt an den Cholesterinwerten meines Vaters rumgemäkelt hatte. Daher war das ganze Zuckerzeug einfach nicht im Haus. Aber für Zuckerzeug war auch eher meine Omi zuständig.
    Eine meiner liebsten Erinnerungen: nach der Schule zu Omi gehen (meine Eltern waren beide berufstätig), mich auf das grüne Sofa oder in die großen Sessel kuscheln, ein Buch aus der Schultasche ziehen und lesen. Aber bevor ich das Buch aufschlug, durfte ich mir immer etwas aus der Schokoladentruhe nehmen, einer alten Teedose aus Metall, in der stets geschätzte 30 Tafeln Schokolade lagen. Die Marken, an die ich immer noch gerne zurückdenke, gibt es heute gar nicht mehr, aber ich weiß noch genau, wie die Tafeln aussahen, wie sie rochen und schmeckten. Meine liebste Milchschokolade war in hellblauem Papier eingeschlagen, das mit einer weißen Blume bedruckt war, und war so schmelzig wie danach nie wieder eine Schokolade in meinem Mund. Eine Trüffelschokolade steckte in einer roten Pappschachtel und duftete mildherzhaftsüß, sobald man sie öffnete. Ich aß Marzipanschokolade, Noisette, Tafeln mit Haselnüssen, Mandeln oder Milchcreme; die seltsame Mischung aus Traube und Nuss fand ich damals genauso wie heute eher unlecker, an Zartbitter habe ich mich inzwischen allerdings rangegessen. Das Fiese: Was ich als Kind so geliebt habe – den weichen, beruhigenden, einmaligen Geschmack von Schokolade –, wurde mir als Teenager und Erwachsene durch Schuldgefühle und Schauermeldungen verleidet. Was ich als Kind noch als Genuss und Belohnung empfand, war irgendwann von Selbstvorwürfen überlagert. Das hat so etwas Wunderbares wie Schokolade nicht verdient, und ich bin sehr froh, dass ich heute wieder, wie damals vor fast 40 Jahren, Schokolade genießen kann. Immer noch gerne auf einem Sofa und mit einem Buch vor der Nase.
     
    Aber selbst der regelmäßige Schokoladenkonsum hat mich nicht dick werden lassen. Wohl auch, weil ich mich damals als Kind viel bewegt habe. Der Weg zur Schule wurde zu Fuß zurückgelegt; später, als die Schule im Nachbarort war, war es immerhin noch der Weg zur Bushaltestelle. Irgendwann fing ich an, mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren – jeden Morgen drei Kilometer hin und nachmittags wieder zurück. Ich war Stammgast in unserem Freibad und war in den Ferien gerne frühmorgens da, damit ich die ganzen wundervollen, blauen Bahnen für mich alleine hatte. Genauso habe ich beim Fahrradfahren das Gefühl des Alleinseins genossen; ich musste mir nicht mit lauter Nervensägen den überfüllten Bus teilen, sondern konnte in meinem Tempo und mit dem obligatorischen Walkman auf den Ohren entspannt zur Schule radeln.
     
    Heute verbinde ich Radfahren oder Schwimmen nicht mehr mit «hach, schön», sondern mit «Das verbrennt Kalorien». Ich weiß nicht mehr, wann Bewegung angefangen hat, nicht mehr Freude zu sein, sondern ein Work-out (was für ein bescheuertes Wort!), aber ich bin gerade dabei, diese Freude wiederzufinden. Heute ist es der iPod, der mich unterhält, während ich gemütlich durch die Gegend schlendere, ohne daran zu denken, dass mir diese 45 verbrauchten Kalorien eine halbe Scheibe Käse mehr auf dem Brot ermöglichen. Alleine die Idee, dass man sich mit Bewegung quasi selbst die Erlaubnis erarbeitet, etwas Gutes essen zu dürfen – wie verquer ist unser Denken denn eigentlich durch Diätgenerve geworden? Anstatt etwas zu kochen, auf das man Lust hat, gehen wir heute ins Fitnessstudio und essen dann irgendwas, von dem wir den genauen Nährstoffgehalt kennen, um die gerade abgearbeiteten (!) Kalorien nicht sofort wieder aufzufüllen. Was für ein Blödsinn.
     
    Noch einmal kurz zurück in die Kindheit. Was mich im Nachhinein wahnsinnig macht, ist die Tatsache, dass ich bis zu meinem Abitur und meinem Auszug von zu Hause absolutes Normalgewicht hatte. Trotzdem habe ich mich wie der fetteste Teenager der Welt gefühlt, weil mir eben viele Menschen, auf die ich gehört habe (Eltern, Ärzte und Ärztinnen), eingeredet haben, dass ich zu dick sei. Wenn ich den BMI als Messlatte nehme – über dessen Sinn und Unsinn ich
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