Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nova

Nova

Titel: Nova
Autoren: Wolfram Kober
Vom Netzwerk:
verstanden wir euer Handeln. Ihr wolltet sehen, wie wir uns verhalten. Aber auch wir vier sind nur ein Teil unserer Zivilisation. Wir haben Fehler und Schwächen. Erst die Menschheit als Ganzes ist fehlerlos. Zumindest heute ist das so. Der einzelne kann irren. Die Menschheit nie. Ihr habt also Fehler getestet, und danach habt ihr uns verglichen und ausgewählt. Meine erste Frage also: Warum gerade ich? Weil ich die geringsten Mängel aufweise? O nein, glaubt nur das nicht. Ich bin nicht der Würdigste unter uns. Oder kam ich euren Vorstellungen am nächsten?«
Er hielt einen Augenblick inne. Der Fremde schwieg. Da fuhr er fort: »Das Schlimmste aber für uns ist, ihr habt Kyodo zum willenlosen Sklaven degradiert. Ihr habt seine Persönlichkeit mißachtet und in den Schmutz getreten. Das ist kein guter Beginn gegenseitigen Vertrauens und Verständnisses.«
Velasco schwieg wieder für Sekunden.
»Ich bin voller Zorn zu euch gekommen. Jetzt verspüre ich Interesse, euch kennenzulernen. Die historische Vision gab mir nichts. Erklärt mir, wie ihr seid, damit ich euch verstehe.«
Oncro-ar-Lei schwebte in seiner Kugel näher zu ihm heran.
»Wir danken dir für deine offenen Worte, Mensch Velasco. Laß mich darauf antworten. Es ist die Antwort unseres gesamten Geschlechts. Wir gingen aus von dem technologischen Stand eures Raumschiffes und eurer Instrumente. Euer Wissen liegt weit unter dem unsrigen. Deine Worte haben uns gezeigt, daß wir etwas sehr Wichtiges vergaßen, nämlich, daß Ehrlichkeit, Liebe zum Frieden und Vertrauen keine an einen technischen Stand gebundenen Prinzipien sind. Sie sind immer und überall zu finden und als Eigenschaften mit intelligenten Geschöpfen identisch. Unsere Geschichte sollte dir zeigen, daß es Zeiten gibt, in denen das Gegenteil die Macht der Oberfläche besitzen kann. Oberflächen können trügen, und wir freuen uns, daß wir irrten. Viele vernunftbegabte Wesen können unter normalen Umständen heucheln. Erst in komplizierten, kritischen und ausweglosen Momenten handeln sie so, wie es ihrem wahren Charakter entspricht. Dann legen sie ihr Innerstes bloß, und man kann sie erkennen.«
Velasco kam nicht umhin, Oncros Schlußfolgerungen anzuerkennen.
»So wollten wir euch sehen und euch die Möglichkeit des Heuchelns nehmen. Sieh, wir bezweifeln nicht die Aufrichtigkeit eures Begehrens – wohl aber die Fähigkeit, immer so zu sein und zu handeln, wie ihr es euch selbst wünscht. Du sagst, Velasco, ihr Menschen wäret offen und ehrlich. Analysiere dich selbst. Wir kennen deine Gefühle gegenüber deinen Gefährten. Sie sind nicht immer voller Güte. Sprichst du sie aus, oder verheimlichst du sie nicht vielmehr?«
Die Frage stellte Velasco auf eine schlüpfrige Eisfläche. Krampfhaft suchte er nach Beispielen, um Oncros Behauptung zu überprüfen.
Er hielt Narik für kaltschnäuzig, gefühllos und manchmal verletzend. Jedoch – hatte er ihn deswegen kritisiert? Nein, er war den bequemen Weg des Schweigens gegangen, hatte seine Meinung über ihn in sich vergraben und damit die Hoffnung auf Änderung verpaßt und verspielt.
Aber war sein Verhalten deshalb unehrlich?
Es fiel Velasco schwer, zuzugeben, daß dieses Stück sozialer Tradition keine gute Tradition war. Es war Gewohnheit, keiner störte sich ernsthaft an ihr, und sie selbst zerstörte nicht, sondern half unter Umständen, normal miteinander auszukommen.
Er wäre sich kindisch vorgekommen, würde er jeden Ton, jedes Wort, jede Geste Nariks auf die Waage legen und kritisieren, wenn sie ihm nicht gefiel.
Falsch oder richtig? Durfte er hier und sofort über diese Eigenschaft der Menschen, die Oncro als unehrlich bezeichnete, den Stab brechen und sie mit seiner eigenen Wertung versehen?
Alles in ihm widerstrebte der dämmernden Erkenntnis, daß seine Gesprächspartner recht behielten, zumindest was ihn betraf; daß er verurteilte, ohne sich selbst gereinigt zu haben.
Die Stimme schwieg. Velasco mußte darauf antworten, und er sagte: »Ihr habt recht.«
»Wir danken dir für deine Worte. Du selbst sagst, ihr seid als Individuen nicht fehlerfrei. Auch wir sind es nicht…«
Halt, durchfuhr es Velasco, der befürchtete, eine Niederlage einstecken zu müssen. »Aber ihr habt als Zivilisation gehandelt, nicht als Einzelperson.«
Oncro-ar-Leis Augen lächelten wieder. »Wir sind nicht so vermessen, unser Geschlecht als absolut fehlerlos zu bezeichnen. Doch bedenke: Unsere Geschichte ist gebrannt mit Krieg und Ungerechtigkeit – wie die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher