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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen
Autoren: Richard Swartz
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Stunden lang halb bewusstlos oder in einem unruhigen Schlummer auf dem Sofa liegen, das merkwürdigerweise schonender für den Rücken ist als das Bett, schlurft zwischendurch in die Küche, um ein halbes Glas Wasser zu trinken oder um den Kopf unter dem Wasserhahn abzukühlen, dann wieder zurück zum Sofa, um erst am frühen Sonntagabend die Lichter in der Wohnung anzumachen, in der Absicht, die Schäden an Körper und Gesicht nach dem Überfall zu untersuchen.
    Diese Untersuchung ist schnell erledigt; es reicht dem Mann, sich selbst in dem am vorigen Montag erworbenen Spiegel über dem Sofa zu sehen, und die Untersuchung überzeugt ihn davon, dass sofort etwas geschehen muss.
    Er weiß nur nicht, was.
    Auf dem Küchentisch findet der Mann den letzten Brief seiner Frau, den von der vorigen Woche, und liest hier und da ein paar Zeilen, »… das dich so unverschuldet getroffen hat und mein Ehefrauenherz bluten lässt …«, oder etwas weiter unten, »… aber mit einem Gemüt, das seine lilienweiße Unschuld behalten hat …«, bevor er den Brief wieder weglegt.
    Während dieser fast vierundzwanzig schmerzerfüllten Stunden auf dem Sofa, in einem Bewusstseinszustand unterhalb des menschlichen, den der Mann fast als tierische Gleichgültigkeit empfindet, hat er in seinen wenigen klaren Momenten kein einziges Mal an die Ehefrau gedacht, hingegen verschiedentlich an die Frau, mit der er sie betrogen hat, oder an den Chinesen, der ihm im Lager so viel beruflichen Kummer bereitet hat, aber erst diese Zeilen aus dem Brief seiner Frau rühren ihn zu Tränen.
    Nur meine Frau versteht mich, sagt der Mann zu sich selbst, und auf dem Sofa wird er plötzlich von Sehnsucht überwältigt, wie eine Welle der Wärme quillt diese Sehnsucht nach seiner Frau in seinem Körper hoch, als könne sie die Schmerzen aus seinen Armen und Beinen vertreiben, aber trotz Wärme und Welle ist eine solche Sehnsucht des Körpers eben nicht mehr als ein Gefühl, während die Wärme in den Hosen daher rührt, dass seine Blase sich entleert hat; Urin ist über den Boden geflossen, im Sofa unter ihm wird er zu einem dunklen nassen Fleck.
    Sacht und auf geschwollenen Füßen begibt sich der Mann dann hinaus in den Lift und steigt im siebten Stock aus. Im Korridor findet er ohne Schwierigkeiten die Tür der Familie Cohn und klopft dort an. Klingeln will er nicht, und eine andere Tür, an die er klopfen könnte, außer vielleicht die friedmannsche, meint der Mann in diesem ganzen Haus nicht zu haben.
    Es ist ein später Sonntagabend, und die Familie Cohn muss zu Hause sein, auf der anderen Seite der Tür sind Stimmen zu hören, die aber sofort verstummen, nachdem er geklopft hat.
    Lohnt es sich, hier um etwas zu bitten? Noch einmal klopft der Mann an die Tür, diesmal etwas fester, aber auf der anderen Seite ist es, wenn möglich, noch stiller als zuvor.
    Ziemlich lange steht der Mann da und überlegt, ob er ein drittes Mal anklopfen soll. Stattdessen legt er ein Ohr an die Tür, ein geschwollenes und aufgeplatztes, aber alles, was er, den Kopf an die Tür der Familie Cohn gelegt, hören kann, ist das Rauschen und Knistern in diesem Ohr.
    Der Mann erinnert sich, dass die Familie Friedmann irgendwo in demselben Stockwerk wohnen muss, also in diesem siebten, vermutlich aus Gründen, die mit Heimweh oder Aberglauben zu tun haben, und tatsächlich gibt es weiter hinten rechts im Korridor eine Tür, die sogar mit einem Messingschild versehen ist und den Namen Friedmann trägt, in schwarzen Buchstaben und mit einem fetten schwarzen Punkt rechts vom Namen, auch dieser Punkt etwas, das, wie der Mann vermutet, aus rituellen Gründen dort gelandet ist.
    Vorsichtig stützt er sich gegen die Wand; die Kleider sind in Unordnung, hier und da zerrissen, sie fühlen sich zu eng an, wie für jemand anderen und kleineren als ihn gedacht.
    Es ist Frau Friedmann, die öffnet, jedoch sofort die Tür wieder schließt, dieses Pack, denkt der Mann, der hört, wie sie da drinnen flüsternd mit jemandem in einer Sprache spricht, die er nicht versteht; Frau Friedmann plappert etwas mit vielen Konsonanten, es klingt, wie wenn der Wind durch einen Haufen von welkem Laub bläst, nicht einmal eine richtige Sprache haben sie, denkt der Mann.
    Dann ist es Herr Friedmann, der kommt und die Tür weit öffnet; dieser bleibt vor der Schwelle stehen, ohne den Besucher hereinzubitten, auch hier drinnen in einem schwarzen Kaftan, vielleicht ein sittsames, aber wie es dem Mann scheint, blank
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