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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen
Autoren: Heike Vullriede
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Herrschendes, was ich im Moment nicht genau ausmachen konnte, bei mir aber dieses unangenehme Gefühl von Unterlegenheit auslöste. Während ich ihm den Umschlag entgegen hielt, hoffte ich inständig, jetzt nicht peinlich zu zittern. Aber das Kuvert flatterte verräterisch vor seiner Nase und seinem strengen Blick herum.
    »Ich bin hier um … ich meine … diesen Umschlag soll ich hier abgeben.«
    Meine unbeholfenen Worte weichten die Starre seiner Augen etwas auf. Nicht, dass ich seinen Blick nun als freundlich empfunden hätte, nur ein wenig interessierter.
    »Ich glaube, ich weiß, was Sie mir sagen wollen.« Er wies mit einer gewandten Armbewegung in Richtung der Innenräume. »Aber bitte, gehen wir doch rein.«
    Während ich mich an ihm vorbeidrückte und betete, dass die Hunde neben ihm mich nicht zerfleischen würden, nahm er mir den Umschlag aus der Hand. Gerade jetzt, als ich das Gefühl bekam, diese letzte Erinnerung an Jens nicht abgeben zu dürfen, bevor ich sie selbst gelesen hatte. Doch dafür war es nun zu spät. Der feste Griff des Mannes zog mit einem Ruck Jens' Nachricht aus meiner Faust. Dann schloss der Kerl die Tür hinter mir und machte mich endgültig zu einer Gefangenen des Hauses. Ich sah, wie er den Schlüssel umdrehte, ihn abzog und in seiner Hosentasche verstaute.
    Wo war ich hier nur hineingeraten?
    »Warum schließen Sie ab?« Ich hatte Mühe, meinen Atem zu kontrollieren.
    »Wegen der Hunde!«
    Fast schmückte ein kleines, aber unschönes Lächeln seine steinernen Lippen. »Sie sehen ängstlich aus! Keine Sorge, die Hunde gehorchen mir aufs Wort.«
    Mein Magen begann zu drücken und ganz allmählich meldete sich der Puls in meinem Kopf. Diese Kopfschmerzen – es ging schon wieder los!
    Er wendete den absenderlosen Briefumschlag neugierig um.
    »Lassen Sie mich raten: Von Jens Klein?«
    Woher wusste er das?
    Ich wollte fast schreien, als er plötzlich seine Hand auf meine Schulter legte, eine große Hand, der ich das Fremde in ihr anfühlte und ich spürte förmlich, wie es in mich hineinkroch. Statt zu schreien, zuckte ich zusammen und mein Zucken schien dem Mann zu gefallen. Es löste ein flüchtiges Lächeln auf seinem Angesicht aus. Mit barschem Griff schob er mich weiter in den Raum hinein. Ein Raum, dessen Ausmaße ich nicht erwartet hatte. Ich stand in einem Saal, an dessen Vergangenheit als getrennte Altbauzimmer nur noch ein paar tragende runde Säulen erinnerten. Altmodischer Stuck zierte die hohe Decke. An einer Wand stand eine große Bar mit Barhockern und sehr vielen Flaschen. Die schwache Beleuchtung aus einem gusseisernen Kronleuchter reichte nicht aus, um alle dunklen Nischen und Hinterräume um mich herum so auszuleuchten, dass ich mich beruhigt gefühlt hätte. Wer wusste schon, wie viele abgerichtete Köter noch in diesen Winkeln lauerten?
    Mitten im Raum ließ mich mein ungemütlicher Begleiter los und nahm einen Brieföffner von einem Sideboard zur Hand. Er nahm ihn ganz langsam aus der Halterung. Man hätte zusehen können, wie er die Luft damit durchschnitt und sein Gesicht wirkte dabei fast gehässig. Der Öffner selbst sah aus wie ein kleiner Dolch. Ich zog mich zurück, machte ein paar Schritte rückwärts und landete unabsichtlich in einer dieser finsteren Nischen, wo ich mir schmerzhaft die Hüfte an etwas stieß. Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und sie offenbarten mir einen Tisch, gegen den ich gelaufen war, ein Sofa und zwei Sessel. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit Teegeschirr. Aus zwei halb gefüllten Tassen daneben dampfte Tee und auf der Tischdecke hinterließ ein kleiner Löffel einen nassen Fleck. In der Mitte des Tisches lag ein schwarzes Buch.
    Ein Luftzug in meinem Nacken holte meine Aufmerksamkeit zurück. Ich zog den Kopf ein und drehte mich um. Der Mann mit Jens' geöffnetem Briefumschlag nickte mir zu.
    »Nehmen Sie Platz!« Er wies auf das Sofa.
    Dann setzte er die Brille auf und las kurz, aber aufmerksam in Jens' Zeilen, die ich liebend gern selbst gesehen hätte; mir vorenthaltene Gedanken eines toten Freundes!
    Auf einmal bewegte sich etwas im schwachen Licht. Ich sah es im Augenwinkel. Kleidung raschelte in einer Ecke des Sofas neben mir und unerwartet sah ich mich einem dort sitzenden Mann gegenüber. Sein schwarzer Pullover und eine ebenso schwarze Hose verschmolzen ihn, bis auf das Gesicht und die Hände, mit dem Dunkel des Raumes. Er grinste mich an, aus der Gewissheit des heimlichen Beobachters heraus. Als
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