Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen
Autoren: Heike Vullriede
Vom Netzwerk:
ganzem Körpereinsatz stemmte ich die schwere Tür auf und betrat ein unbeleuchtetes Treppenhaus.
    Muffiger Geruch empfing mich und auf den Wänden prangte in der Düsternis eine gelbliche Tapete mit braunen Ornamenten. Ein deutscher Altbau-Hausflur, wie es ihn in Essen noch zu Hunderten gibt, irgendwann in den Siebzigern renoviert, mit einer steilen blutbraun lackierten Holztreppe, die nach oben führte. Alles war still in dem Haus. Ich blieb unten stehen und hoffte, dass mir jemand entgegenkommen würde, um mich zu empfangen.
    Dann jedoch hörte ich doch etwas im Dunkeln. Allerdings keine Menschenschritte, sondern viele Beine und Pfoten trabten von oben über die Treppenstufen auf mich zu. Ein tiefes Grummeln und ein Hecheln begleiteten jeden der schnellen Schritte und mir wurde mehr als unwohl. Aus der Dunkelheit tauchten zu meinem Schreck zwei Rottweiler auf. Groß und schwer verstellten sie mir mit ihren breiten Köpfen den Weg nach vorne. Hunde! Ausgerechnet! Auf bedrohliche Gesten von Menschen wusste ich vielleicht noch zu reagieren – aber Hunde? Hektisch riss ich mich herum und drehte an dem Knauf der zugefallenen Tür. Doch er rührte sich nicht. Ich rüttelte wie wild! Die Tür blieb zu. Hinter mir schwoll das Grummeln der Tiere immer mehr zu einem gefährlichen Gemisch aus Knurren und Bellen an, aber ich blieb hoffnungslos gefangen zwischen ihnen und dieser elenden Tür. Ruhig bleiben , ermahnte ich mich, nachdenken und bloß nicht in die Augen sehen! Langsam, ganz langsam, um sie nicht noch mehr zu provozieren, wandte ich mich ihnen zu, kaum gewillt, die Augen auf sie zu richten. Nur wenige Zentimeter von meinem Leib entfernt fletschten sie ihre spitzen Zähne, knurrten und sabberten bis in die äußersten Falten ihrer fleischigen Mäuler. Mir brach der Schweiß aus! Wer wusste, wie lange sie sich noch beherrschen konnten?
    »Zeus! Odin!«
    Eine laute Stimme lenkte die Tiere ab. Gleichzeitig ging das Licht im Hausflur an. Sie verstummten und wendeten ihre monströsen Köpfe zur Treppe hinauf, wo ich zu meiner Erleichterung einen Mann stehen sah. In diesem Moment war mir völlig egal, wer er war, Hauptsache er schaffte mir die Viecher vom Leib.
    Als er sie erneut zurückrief, ließen sie endlich von mir ab und stürmten nach oben.
    »Ihre Tür klemmt«, rief ich zitternd hoch.
    Der Mann antwortete nicht.
    Ich versuchte noch einmal vergeblich, die Tür hinter mir zu öffnen. Es war zwecklos.
    »Ich wollte hier nur etwas abgeben«, ergänzte ich mit brüchiger Stimme und gab meinen Fluchtversuch auf.
    »So? Dann kommen Sie hoch!«
    Mein Blick fiel von unten nach oben auf einen der Hunde, der neben ihm am Geländer der Treppe stand und mich erbost fixierte.
    »Was ist mit den Hunden?«
    »Odin! Zurück! Los, ab mit dir!«
    Augenblicklich zog sich das Tier hinter dem Mann in die Räume zurück.
    »Kommen Sie hoch!«
    Er verschwand hinter seinem Hund.
    Dass ich tatsächlich nach oben ging, obwohl ich dort nichts Angenehmes vermutete, lag allein an der verschlossenen Haustür. Was sollte ich sonst tun?
    Schritt für Schritt nahm ich die etwas zu hohen Stufen bis zur ersten Etage. Unter mir knackten uralte Holzdielen. Vor der Tür wagte ich nicht einzutreten, sondern klopfte nur kurz an den Rahmen.
    Daraufhin tauchte der Mann wieder auf. Ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig. Er trug einen dunklen Anzug mit schwarzem Hemd darunter. Die altmodischen Bundfalten seiner Hose stießen auf seine Schuhe, die wiederum glänzten, wie täglich poliert. Auf die Schnelle fand ich nichts Ungewöhnliches an ihm, außer, dass seine Brille an einer goldenen Kette vor seiner Brust baumelte. Eine Art Brillen zu tragen, die ich nicht mag. Mich überfiel gleich das Gefühl, dass ich besser nie hier aufgetaucht wäre. Nicht nur wegen der Hunde. Sein Blick schien mir ungehalten – nein – ärgerlich! Als hätte ich ihn aus einem wichtigen Gespräch gerissen oder aus einem Nickerchen. Am liebsten wäre ich direkt umgekehrt.
    »Ja, bitte?!«
    Er musterte mich von oben herab, ohne zu lächeln. Nervös wühlte ich in meiner Jackentasche und förderte Jens' verschlossenen Umschlag zutage. Ich ärgerte mich über diese Nervosität, doch das Erlebnis mit den Hunden zerrte immer noch an meinen Nerven und ich wurde dieses Beben in meinem Körper nicht mehr los. Außerdem hatte der Mann vor mir etwas an sich, was mich einschüchterte. Eine gewisse Autorität in seinem harten Gesicht, in seinem Auftreten und in seiner Stimme. Etwas
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher