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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen
Autoren: Heike Vullriede
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er sah, dass ich ihn entdeckt hatte, stand er auf, kam geschmeidig näher und streckte mir seine Hand entgegen, die in dem Dämmerlicht, wie die Hand eines Pantomimen wirkte.
    »Alexander! Und der Mann hinter Ihnen ist Günter Buchheim! Ich glaube nicht, dass er sich Ihnen vorgestellt hat.«
    Ich blickte ihn an – und meine Lunge stellte für Sekunden das Atmen ein. Dieser Mann sah aus, wie die Inkarnation meiner eigenen Vergangenheit! Dieses Gesicht mit den hellen blauen Augen in gebräunter Haut – volle Lippen, welche einen der Mundwinkel im Lächeln eine Spur nach oben zogen. Der Blick dieses Menschen – so selbstsicher, überlegen und so herablassend nachsichtig. Ich stand ihm regungslos gegenüber, einem Fremden, und doch kam es mir vor, als kannte ich ihn. Sein Griff fest und warm, die Stimme tief, zwinkerte er mir zu, während er mich unverhohlen betrachtete und meine Hand festhielt. In meinem Bauch wüteten lebende Steine, die sich an den Innenwänden des Fleisches rieben. Ich kann heute noch nicht sagen, ob ich ihn an diesem Tag grenzenlos selbstbewusst fand oder bloß anziehend anmaßend. Was ich fühlte, war ein Tsunami gemischter Erinnerungen, sprudelnd vor Sehnsüchten und Ängsten. Er war die Wiedergeburt meiner dunkelsten, verdrängtesten und erotischsten Lebensgeschichte. Er sah fast so aus, wie Manuel!
    Aufmerksam behielt er mich im Auge und umschloss meine gereichte Hand so lange, bis ich zögerlich auch meinen Namen nannte.
    »Sarah – ein schöner alter Name! Gefällt mir sehr gut«, sagte er.
    Dabei drückte er sanft mit den Fingern in meinen Handteller, und ich konnte nicht anders, als eine ganz leichte Gänsehaut zu empfinden, auch, wenn ich es nicht wollte. Es fühlte sich wie eine Massage an, deren minimaler Druck mich erschaudern ließ. Verlegen entzog ich ihm die Hand, wich diesem nicht enden wollenden Blick von ihm aus, der bis in meinen Unterleib kroch.
    »Was führt Sie zu uns?«, fragte er.
    Ich räusperte mich. Verdammt, warum war ich nur so leicht berührbar? Verstört suchte ich, meine Gedanken zu sammeln.
    »Da Sie beide ja scheinbar Bekannte von Jens sind … ich meine waren … muss ich Ihnen leider mitteilen, dass …« Mein Herz stotterte gleichlaufend mit meiner Stimme. »… Jens hat sich umgebracht. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Fragen Sie mich bitte nicht, warum.«
    Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich die beiden Gesichter im Raum. Meine Nachricht verursachte nicht die Spur dessen, was ich erwartete; kein Zusammenzucken, kein erschrockenes Aufseufzen, keine bedrückten Blicke angesichts des Unfassbaren. Sie sahen sich lediglich einen Moment lang bedeutsam an. Es gefiel mir nicht, dass Jens ihnen offensichtlich mehr anvertraut hatte, als mir. Ich riss mich zusammen, um nicht erneut zu stottern.
    »Darf ich fragen, was Jens Ihnen geschrieben hat?«
    Ich nahm an, dass Buchheim mir das Blatt Papier wenigstens einmal kurz unter die Nase halten würde, doch der faltete den kleinen Brief langsam und sorgfältig zusammen und reichte ihn an Alexander weiter, der ihn überflog. Breit grinsend stopfte dieser ihn in die Hosentasche.
    »Erzählen Sie uns lieber, was geschehen ist«, forderte er mich auf.
    Sie drängten mich, endlich Platz zu nehmen. Obwohl ich widersprach, saß ich bald auf dem Sofa. Rechts körpernah flankiert von diesem Abbild Manuels, der mich ab da an in einer ergreifend anmutenden Weise anlächelte. Beharrlich versuchte ich, es zu ignorieren, schaffte es aber nicht. Sein aufdringliches Lächeln war immer da. Ich wich ihm auf dem Sofa etwas aus. Vor uns am Tisch stand Buchheim, mit seinen Oberschenkeln an der Tischkante angelehnt und noch immer mit dem Brieföffner in der Hand, den er so hielt, dass es mir so vorkam, als wollte er ihn mir gleich in den Hals stechen.
    Wie konnte ich mich nur völlig unbekannten Männern ausliefern? Dazu die Hunde, die jetzt vor der Wohnungstür Wache hielten. So leichtsinnig hatte ich bisher nur ein einziges Mal gehandelt und es bitter bereut. Sie hätten mich töten können, mich vergewaltigen! Niemand wusste, dass ich hier war. Ich forschte in ihren Gesichtern, ob sich in ihnen Begierde oder etwas Mörderisches zeigte. Automatisch wanderte mein heimlicher Blick auf ihre Hosen. An Alexanders Hose klaffte die linke Tasche etwas auf und der zerknüllte Brief von Jens lugte heraus.
    »Darf ich Ihnen etwas anbieten?«
    Buchheim lächelte und zeigte dabei Zähne, was für mich aussah wie eine Fratze, weil er vorher
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