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Notizen aus Homs (German Edition)

Notizen aus Homs (German Edition)

Titel: Notizen aus Homs (German Edition)
Autoren: Jonathan Littell
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weiß nicht, ob ich es schaffe, dort hinzugehen.
    [ Diskussion mit Besuchern. ] Vor vier oder fünf Tagen wurden um Qusair herum die BMP 15 und BTR durch T-62 und T-72 16 ersetzt. Sie sind nicht sehr sichtbar, mehr oder weniger versteckt, wegen des Abkommens mit der Arabischen Liga, aber sie sind da. Die FSA glaubt, dass sie da sind, weil man die Erstürmung der Stadt plant. Ein Mann: »Die Leute haben große Angst, sie fürchten sich vor der Armee.« Für ihn ermöglicht die Anwesenheit der FSA unseren Besuch, die Demonstrationen, die Beerdigungen. Vorher patrouillierten die Sicherheitskräfte, drangen in die Häuser, verhafteten Menschen.
     
    Der Zorn sagt: Die Gruppen in Homs wollen keine Journalisten mehr, darauf haben sie sich geeinigt. Wir sind die letzte Gruppe, danach khalas , Schluss. Er weiß nicht genau, warum: Stellt man sich auf einen großen Angriff ein, oder ist es wegen des Todes von Gilles Jacquier?
     
    Für Den Zorn, erklärt mir Raed, sind wir eine amana , ein Begriff, den man mehr oder weniger mit »Depot« übersetzen kann; er ist bis Homs für uns verantwortlich.
     
    Gestern hat unser Gastgeber seine Frau samt Kindern zu seinen Eltern geschickt. »Damit sie euch nicht stören, damit wir unsere Ruhe haben.« Die Frauen sind ohnehin unsichtbar. Eine Männerwelt. Von Zeit zu Zeit sieht man eine Frau auf der Straße, verschleiert, aber mit unverdecktem Gesicht. Gestern hat Der Zorn im Auto mit der Mutter eines Märtyrers gesprochen und mit der Frau von D., dem Jungen aus Tripoli. Bei der Demonstration standen einige Frauen am Rand, in einer Gruppe, in der Nähe einer Tür, sie sangen auch, aber abseits von den Männern.
     
    Ankunft eines Offiziers der FSA, Abu Haider, eines mulazim awwal . Stammt aus Qusair. Jeans, Feldjacke mit Abzeichen (2 Sterne), dichter Bart, Arbeiterhände. Er hat sechs oder sieben Jahre in der Armee gedient. Zu Beginn der Unruhen war er in Deraa stationiert. Er glaubte teilweise an die Linie des Regimes – an das Komplott gegen Syrien –, aber er verlor schnell die Illusionen. Er ist im August desertiert, während des Ramadan, aber ohne es offiziell im Fernsehen zu verkünden. Ein Freund von ihm war verwundet worden, von schabbiha , bei einer friedlichen Demonstration, an der er auch teilnahm. Er hat ihn in die Notaufnahme gebracht, aber er ist gestorben. Zu jener Zeit war das Krankenhaus noch in Betrieb. Im Krankenhaus wurde der tote Freund gefilmt und dann auf Addounia TV 17 gezeigt und als unschuldiger, von Terroristen getöteter Demonstrant vorgeführt. Diese Lüge hat Abu Haider empört, sie war der Auslöser für seine Desertion. Zu dem Zeitpunkt war die FSA noch nicht in der Stadt.
    Abu Haider gehörte einer Sondereinheit der Verwaltung für chemische Kriegsführung an; seine Aufgabe war es, von einem Spezialfahrzeug aus farbige Nebel zur »Markierung« auf die Gebäude zu sprühen, die während eines Bombardements verschont bleiben sollten.
    Er berichtet, dass er im August in Deraa Zeuge von Luftangriffen auf Wohnhäuser und die Bevölkerung (Demonstranten) war. Es gab dort schon Einheiten von Deserteuren, die spätere FSA, so dass die Armee nicht vom Boden aus eingreifen konnte, also schickte sie Flugzeuge.
     
    Der Zorn wird uns zur autostrada bringen, wo Abu Brahim jemanden hinschicken wird, der uns direkt nach Bajada bringen soll. Heute Morgen war erneut geplant, dass wir über Baba Amr in die Stadt fahren, doch sie haben wieder kategorisch abgelehnt. Energische Diskussionen auf dem Handy. Gestern wurden Bajada und Khaldije von Panzern aus beschossen, was selten ist. Sehr angespannte Situation.
    FSA von Baba Amr überzeugt, dass die schabbiha und die Sicherheitskräfte auf ausländische Journalisten zielen werden, um die offizielle Terrorismusthese zu untermauern. Deshalb wollen sie uns nicht. Finden es zu riskant.
    Wütende, immer wieder unterbrochene Telefondiskussionen mit Abu Brahim, um das Treffen auf der autostrada zu organisieren. Abu Haider telefoniert mit Freisprechfunktion, brüllt und wedelt mit dem Telefon vor seinem Mund herum.
     
    D.s Handy: Babyfotos, Fotos von Freunden, von Sommerausflügen, bei denen am Flussufer Wasserpfeife geraucht wird, von einer Uzi mit Schalldämpfer, von einem getarnten Pick-up, auf dem hinten ein Maschinengewehr montiert ist, von einem nagelneuen Mercedes …
     
    Die Verhandlungen gehen weiter. Abu Brahims Plan ist nicht durchführbar: zu weit, zu gefährlich. Wir müssen über Baba Amr reinfahren, es geht nicht
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