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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Abtreibung Mord ist?«, fragte sie, während sie mich ernst beobachtete. Ich schaute kurz in ihr vom Landleben geprägtes Gesicht.
    »Damit muss ich mich nicht befassen, Schwester. Ich bin fünfzig Jahre alt, und soviel ich weiß, schlüpft die Seele erst bei der Geburt in die vorproduzierte Hülle.«
    »Unverantwortlich!«, lamentierte sie. »Sie sind Lehrer und Vater zweier Söhne!«
    Ich wollte mir von ihr keine Vorwürfe anhören, aber dennoch höflich bleiben. Deshalb schwieg ich.
    »Gott spendet die Seele mit der Zeugung! Manfred ist ein lebendes Beispiel! Seine Mutter hat unverantwortlich gegen Gottes Willen gehandelt!«
    »O Gott, Schwester«, stöhnte ich, »reden Sie mit dem Professor! Der hat Patienten, denen hat der liebe Gott gleichzeitig zwei Seelen in den Körper gehaucht. Die kommen überhaupt nicht klar. Da ist Manfred noch ganz gut weggekommen.«
    Oberschwester Ursula kam in Fahrt. Während ich mich auf den Verkehr konzentrieren musste, nannte sie mich gottlos und führte Argumente an, die zwar einseitig klangen, aber vernünftig waren.
    Ich nahm mir vor, Professor Loraner um Literatur zu bitten, denn plötzlich stand ich mittendrin in einem Wirrwarr von Meinungen, die ich so ohne Hilfe nicht übernehmen konnte.
    Zum Glück schwieg Oberschwester Ursula, als ich mich in Bremen der Anstalt näherte. Sie blickte neugierig durch die Scheiben, gierig, alles in sich aufzusaugen, was dort vor sich ging. Als ich den Wagen abstellte und ausstieg, folgte sie mir mit wogendem Busen zur Anmeldung. Aufgeregt betrachtete sie die Nonne.
    »Sie wünschen Professor Loraner zu sprechen?«, frage die Schwester.
    Ich nickte.
    »Warten Sie hier. Ich melde Sie an«, sagte sie.
    Der Professor kam nach wenigen Minuten. Er nahm uns in Empfang.
    »Sie sind also Schwester Ursula?«, fragte er. »Manfred hat viel Gutes über Sie erzählt.«
    Manfred befand sich nicht mehr in der geschlossenen Station. Der Professor wählte einen anderen Weg, der aber auf ein Mutter-Gottes-Bild und Kerzen nicht verzichtete.
    Manfred war in einem Einzelzimmer untergebracht. Er lag in einem Bett und strahlte uns freundlich an. Um seinen linken Arm lag ein Verband. Er sah sehr bleich aus.
    Schwester Ursula ging zu ihm und strich ihm über das blonde Stoppelhaar.
    Er begann zu weinen.
    »Manfred, jetzt wird alles wieder gut«, sagte sie wie eine Mutter.
    »Das stimmt«, schaltete ich mich ein, »uns liegt ein Zeugenbericht vor, der glaubhaft bestätigt, dass ein älterer Herr die kleine Marion ermordet hat.«
    Oberschwester Ursula wischte ihm die Tränen ab.
    »War der Mörder ein kleiner Mann mit einem auffälligen Hut?«, frage er.
    »Ja«, antwortete ich.
    »Sie können Manfred in wenigen Tagen abholen«, sagte Professor Loraner. »Er ist in Ordnung. Er hat seine Probleme erkannt und wird sich ihnen stellen und sie lösen. In Zukunft wird er dem Alkohol entsagen, ohne in der Gefahr zu leben, nach einem Glas Bier ein Trinker zu werden.«
    Ich schämte mich, denn ich hatte Manfred zur Bestie abgestempelt und ihn in den Mordverdacht gerückt.
    Manfred hörte zu, als der Professor, so als hätte er meine Gedanken erraten, sagte: »Manfred hat Glück gehabt. Ohne diese Grenzsituation wäre er verloren gewesen.«
    »Marion war wirklich mein kleiner Engel, mein Goldfasan. Glauben Sie mir jetzt?«, fragte er.
    »Ja, Manfred«, sagte ich.
    Oberschwester Ursula öffnete ihre Handtasche und drückte Manfred ein Sparbuch in die Hand.
    »Für eine Weile wird es reichen«, sagte sie glücklich, und ich wusste, dass sie sich das Geld vom Munde abgespart hatte.
    »Die Arbeitsstelle auf Juist sollte Manfred nicht mehr antreten«, meinte der Professor, »es wäre gut, wenn er irgendwo anders einen neuen Start finden könnte.«
    Die Krankenzimmertür wurde geöffnet.
    »Der Herr ließ sich nicht abweisen«, sagte die junge Nonne und ich entdeckte ein Lächeln in ihrem Gesicht.
    Vetter Hannes betrat das Krankenzimmer. Ohne Rücksicht auf die Anwesenden zu nehmen, sagte er im rheinischen Tonfall: »Ich habe zwei Pferde nach Achim gebracht, und da ich auf Juist in den Fall hineingeraten bin, habe ich es gewagt, hier zu erscheinen.«
    Alle blickten ihn überrascht an. Professor Loraner schaute verärgert um sich.
    »Herr Professor, Herr Wernig ist mein Vetter. Er ist Unternehmer«, stellte ich Hannes vor.
    Hannes lachte: »Ich habe gestern Abend mit Herrn Färber telefoniert und wollte dem fast verschütt gegangenen jungen Mann einen Ausbildungsplatz in meiner
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