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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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verließen, ging die Sonne unter. Viele Menschen, Einheimische und Fremde, strömten zusammen. Ein Lautsprecherwagen fuhr über die sonst autofreien Straßen.
    »Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, liebe Kurgäste. Vermisst wird Marion. Sie ist zwölf Jahre alt. Sie trägt ihr langes blondes Haar zurückgekämmt zu einem Pferdeschwanz. Sie ist etwa ein Meter vierzig groß und mit einer gelben Latzhose und einem marineblauen T-Shirt bekleidet. Marion ist sehr kontaktfreudig und auffallend hübsch. Beteiligen Sie sich bitte an unserer Suche!«
    Juist stand Kopf. Der Bürgermeister teilte die Suchtrupps auf. In zwei Gruppen sollten sie den Weg vom Kirchplatz einmal in Richtung Hammersee nehmen und die zweite Gruppe die Dünen bis zum Kalfamer durchforsten.
    Ein Hubschrauber überflog bereits die Insel. Die Ortsgruppen der Feuerwehr und des DRK befanden sich an den Stränden.
    Erneut drang die Stimme aus dem Lautsprecher.
    »Marion ist etwa ein Meter vierzig groß, hat hellblondes Haar, das sie zum Pferdeschwanz trägt. Sie ist bekleidet mit einer gelben Latzhose und einem marineblauen T-Shirt. Marion ist auffallend hübsch.«
    Als hätte mich ein Blitz getroffen, blieb ich stehen. Ich hielt meinen Vetter am Arm fest, der sich mit seiner hübschen Braut trotz unpassender Kleidung den Suchtrupps anschließen wollte.
    »Hannes!«, stöhnte ich.
    Seine Braut kam zu mir.
    »Ist Ihnen schlecht?«, fragte sie und versuchte mich zu stützen.
    »Nein«, gab ich mit trockenen Lippen von mir und duzte unbewusst die Braut meines Vetters: »Evi, das Mädchen! Ich kenne es!«
    Mein Vetter drehte sich um. Er war einen Kopf größer als ich. Seine breiten Schultern und sein vorstehender Bauch füllten den feinen Schneideranzug aus. Ungläubig schaute er mich an.
    »Jupp, du spinnst! Was ist mit dir los? Du bist ja quittegelb im Gesicht!«
    Warum muss er immer in seinem schrecklichen rheinischen Tonfall mit mir reden, dachte ich, und erneut fiel mir das Mädchen ein, das vor dem Softeisstand des See-Shops von Manfred Kuhnert ein mit Vanille- und Schokoladeneis gefülltes Hörnchen bekommen hatte, ohne bezahlt zu haben.
    »Manfred Kuhnert!«, rief ich.
    Bei meinem Vetter und seiner Braut hinterließ die Nennung des Namens wachsende Verwirrung. An ihren fragenden Gesichtern vorbei blickte ich auf den Kirchplatz. Er leerte sich. Die Menschen trugen bereits Pechfackeln und Leuchten. Es war mir peinlich, mit meinen Verwandten hier unschlüssig herumzustehen.
    Ihre lobenswerte Absicht, sich am Tag ihrer Verlobungsfeier in Festbekleidung durch unwegsames Inselgelände an der Suche nach einem vermissten Mädchen zu beteiligen, wollte ich nicht verhindern. Im Gegenteil! Als Vater von zwei unmündigen Söhnen konnte ich mir die verzweifelten Eltern vorstellen. Aber immer wieder tauchte das Bild des Mädchens vor mir auf, das von Manfred Kuhnert das Eis in Empfang genommen hatte.
    »Einen Moment«, sagte ich. »Die Kleidung! Der blonde Pferdeschwanz! Das kommt hin!«
    Mein Vetter schaute mich an.
    »Jupp, was hast du denn?«
    »Wenn Manfred dem Mädchen schon vorher Eis geschenkt haben sollte …« Ich brach ab und zweifelte an meiner Fantasie.
    »Was bedrückt dich, Jupp?«, fragte Evi und legte den Arm um meine Schultern.
    »Ein kurzes Erlebnis und eine durch Studium und Beruf verkorkste Fantasie«, antwortete ich und erzählte beiden von Manfred Kuhnert.
    »Gut, Jupp, führ uns zu diesem Supermarkt. Vielleicht finden wir dort eine Spur«, sagte mein Vetter, »denn ob wir nun über die Insel rennen oder nicht, das ändert nichts an dem traurigen Abend.«
    Wir schritten über die Marktstraße. Mein Vetter und ich hakten Evi ein. Der Wind strich kühl von der See her in die Straße. Die Neonreklamen warfen ihr kaltes Licht. Der Ortskern von Juist war tot.
    »Kein Schwein würde es merken, wenn wir uns jetzt die Bank vornehmen würden«, flachste mein Vetter, als wir an den großen grünen Werbebuchstaben des Bankinstituts vorbeigingen.
    Unsere Schritte hallten in den Wind. In der Buchhandlung lagen unter Neonstrahlern die Bücher, als warteten sie mit ihren Geschichten auf unsichtbare Geisterleser. Das ferne Geknatter eines Hubschraubers klang abnehmend zu uns herüber.
    »See-Shop«, las mein Vetter. Wir standen auf der Stelle vor dem Schaufenster.
    »Hier war es«, sagte ich und blickte mich um. Ich war so in meine Gedanken vertieft, dass ich verwundert um mich blickte, als ich begriff, dass der Eisautomat und Manfred Kuhnert nicht vor der
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