Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman
Autoren: Theodor J. Reisdorf
Vom Netzwerk:
Straßenleuchten davon.
    Überrascht stand ich still und starrte der Kutsche nach. Ich sah, wie sie auch an meinem gestikulierenden Vetter Hannes und Evi vorbei den See-Shop passierte.
    Ich fühlte, wie der in der Straße einfallende Wind meine Stirn kühlte, und schritt enttäuscht dem See-Shop entgegen. Meine Hektik verflog und mir wurde bewusst, dass selbst ein Marathonlauf in die Dünen zu den Suchtrupps nichts am Geschehen hätte ändern können.
    Manfred Kuhnert hatte zugeschlagen, das Mädchen war tot!
    Mein Vetter und Evi schienen die Wirkung des Schocks verkraftet zu haben. Sie empfingen mich fröstelnd.
    »Der Arzt war nicht anwesend. Aber seine Tochter wird telefonieren. Sie sah dem Opfer sehr ähnlich«, sagte ich.
    Wir rauchten und warteten. Schwarze Dunkelheit kroch über die Insel und ließ die vor uns mit künstlichem Licht bestrahlte Marktstraße wie einen Tunnel erscheinen. In die Stille drang das Tuckern eines Hubschraubers. Seine Rotoren, die knallend die Luftschichten komprimierten, reizten meine aufgewühlten Nerven.
    »Scheißverlobung!«, stöhnte mein Vetter. »Evchen, wir sind wieder entlobt. Wir müssen das Ganze irgendwann wiederholen.« Er gab seiner Verlobten einen Kuss auf die bleiche Wange.
    Das Geräusch eines Autos drang zu uns. Auf der Insel herrschte absolutes Fahrverbot. Nur die Feuerwehr und Dr. Schoolmann besaßen eine Ausnahmegenehmigung. Ich sah die Scheinwerfer als Punkte, als sie den Kirchplatz verließen und in die Marktstraße einbogen. Sie kamen näher.
    Das Auto hielt.
    Ein kleiner, untersetzter Mann stieg aus und langte nach einem kleinen schwarzen Lederkoffer, hielt ihn seitlich und sagte: »Ich bin Arzt. Wo ist das Mädchen?« Dabei klopfte er mit seiner freien Hand auf den Koffer, als wiese er ihn aus. Sein Gesicht war gutmütig, seine flinken Augen lenkten von den steilen Falten ab, die ihm Ernst und Würde verliehen.
    »Ist sie tot?«, fragte er Hannes.
    »Ja, das Kind liegt da drüben zwischen dem Leergut«, sagte Hannes und schritt voraus.
    »Rheinländer?«, fragte der Arzt und folgte ihm.
    Ich blieb bei Evi, die leicht zitterte und keinen Wert darauf legte, das Opfer der unerklärlichen Gewalttat noch einmal zu betrachten.
    »Da kommt jede Hilfe zu spät«, hauchte sie.
    Wie verängstigte Kinder standen wir im kalten Reklamelicht, hielten uns an der Hand und starrten in die leere Straße.
    In die Stille fiel das Stottern eines alten Diesels. Ich ließ Evis Hand los und wies in Richtung Kirchplatz auf das Flackerlicht, das unheimlich in den Abend blitzte. Mit grellen Scheinwerfern näherte sich das Feuerwehrfahrzeug. Ich machte die platte Schnauze des Wagens aus, las »Magirus« und wusste, dass das Löschfahrzeug die Hälfte meiner Jahre auf dem Buckel hatte. Wie in einem Heimatfilm, dachte ich, als das Auto vor uns hielt und Feuerwehrleute mit jungen Gesichtern, ernste blasse Männer und dickbäuchige, gestandene Insulaner aus den Türen quollen. Sie stellten keine Fragen. Erst als ein grauhaariger schlanker Mittvierziger ausstieg, dem ein bulliger Mann mit wehenden Mantelschößen folgte, sah ich mich und Evi plötzlich im Mittelpunkt.
    »Pietsch, Kripo Norden«, hörte ich und sah die Polizeimarke in seiner schlanken Hand.
    »Färber«, erwiderte ich, »wir sind alle zu spät gekommen. Das Opfer liegt drüben zwischen Bierkästen auf dem Hof des See-Shops. Der Arzt und mein Vetter sind bei der Leiche.«
    »Gehen wir«, sagte der ernste Mann, der einen gewaltigen Schnurrbart trug und nicht wie ein Kriminalbeamter aussah, eher wie ein Künstler.
    Das Feuerwehrauto schleuderte blaue Lichtblitze in das Reklamelicht.
    Wie eine Friedhofsdelegation eilten die Männer in die schmale Gasse.
    »Evi, gleich werden sie Fragen stellen. Komm mit«, sagte ich zu der Verlobten meines Vetters.
    So kam es auch. Die Polizisten und Feuerwehrleute versammelten sich entsetzt um die Leiche, schoben Kästen zur Seite, um mehr Platz zu haben. Der Strahl eines Handscheinwerfers glitt langsam über den kleinen nackten Mädchenkörper und verharrte auf dem hübschen Gesicht, in dem ein Friede lag, der mir eine Gänsehaut über die Arme trieb. Wie kann der tote Blick so viel Freude ausstrahlen, wo dem kleinen hilflosen Körper so Schreckliches widerfahren ist?, dachte ich und hörte, wie der Arzt zu dem Kriminalbeamten sagte: »Sie ist umgebracht worden, erwürgt. Der Täter hat ihr einfach die Luft abgedreht.«
    Ich sah in das ernste Gesicht des Arztes, der sich bemühte, seine Stimme
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher