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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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anderen wurden an der Grenze zurückgelassen. Der Feldwebel versprach, eine Nachricht nach Ukonjärvi zu schicken, dass die Tiere bei ihm abgeholt werden konn­ ten.
    Mühelos zog der Ochse die Wagen über die Schienen. Der Bär saß mit dem Teerfass und den übrigen Waren im ersten, die Reiseteilnehmer im zweiten. Die Wagen fuhren langsam und ruhig, da das besonders günstig für die Herzpatienten war. Der Bahndamm zu beiden Seiten war dicht bewuchert, der gerade Schienenstrang führte durch Sümpfe und dichte Wälder. Der Bär saß in seiner Wagenklasse und betrachtete die Landschaft, als sein Waldinstinkt zu erwachen begann; zuweilen nahm er schnaubend Witterung auf.
    Spätabends erreichte man Kostamus. Die Stadt war verwaist, die meisten Wohnsilos waren im Krieg abge­ brannt, und die Bergwerksgebäude waren nur noch schwarze Skelette. Der Ochse bekam Zeit zum Ausruhen und Fressen. Für den Bären sammelten die Männer einen Bottich voller Steinpilze, die hinter dem Verlade­ bahnhof des Bergwerkes wuchsen.
    Am Morgen ging es weiter. Die Schienen führten jetzt nach Südosten. Nach zwei Tagen war Lietmajärvi er­ reicht, wo sich der Strang mit einem anderen, der aus dem Norden kam, kreuzte. Die Männer überlegten, ob sie in bisheriger Richtung bis zur Murmansker Bahn weiterfahren sollten. Diese Absicht mussten sie jedoch aufgeben, denn ein Stückchen weiter war die Strecke durch einen langen Zug blockiert. Er bestand aus zwan­ zig Schlafwagen. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass es ein Lazarettzug aus dem dritten Weltkrieg war. Die Inneneinrichtung der Wagen war geraubt worden, die Lok war kaputt. In einigen Wagen fanden sich noch Überreste der ehemaligen Patienten, auf den Tragen lagen Knochen und Kleiderbündel. Offenbar waren die Patienten mit den schwersten Verletzungen sich selbst überlassen worden, als der Zug aufgegeben worden war. Ein paar Jungen, die sich in der Nähe des Bahnhofs herumtrieben, erzählten, dass bei Ontrosenvaara und weiter südöstlich mehrere Bahnbrücken gesprengt worden waren. Der traurige Zug war mit seinen Patien­ ten in abgeschiedener Gegend in die Falle geraten.
    Die Männer versuchten, die Weichen zu stellen, was ihnen auch so weit gelang, dass sie mit ihrem Ochsen­ zug nach Norden weiterfahren konnten.
    In dieser Gegend gab es viele Flüsse und Seen. Hier und dort waren noch Anzeichen der alten weißmeerkare­ lischen Besiedelung zu erkennen. Sogar ganze Dörfer waren heil und bewohnt. In Tsirkka-Kemi kamen Män­ ner, Frauen und vor allem Kinder angelaufen, um den Zug zu bestaunen. Der Bär interessierte sie weniger, diese Tiere waren in der Gegend keine Seltenheit, aber ein Ochse anstelle einer Lok, das warf Fragen auf. War so etwas in Finnland üblich? Die Leute fanden, dass ein solcher Zug unerhört langsam war, aber immerhin besser als gar nichts. Denn in Karelien waren zuletzt während des Krieges Züge gefahren.
    Die Reiseteilnehmer konnten sich in den umliegenden Häusern Milch und Käse und für den Bären Fisch kau­ fen. Die Leute in den Dörfern wollten nicht glauben, dass der dritte Weltkrieg wirklich zu Ende war. Sie fragten, ob auch in Finnland Kometen am Himmel gese­ hen worden seien und was das bedeutete. Stand der Weltuntergang bevor? Die Finnen sagten darauf, dass sie von Kometen nichts wussten und auch nichts wissen wollten.
    Die Strecke endete in Jyskyjärvi. Dort hatte es wohl einmal Industrie gegeben, jetzt waren nur noch leere Hallen mit Blechdächern und eingestürzte Wohnhäuser zu sehen. Die Kunde war dem finnischen Ochsenzug vorausgeeilt, und so kamen mehrere Neugierige zum Bahnhof, die am Oberlauf des Weißmeer-Kemi wohnten. Sie erzählten, dass der Fluss bis ans Weiße Meer be­ fahrbar sei, denn die einst gebauten Staudämme seien im Krieg gesprengt worden, und es gebe sogar wieder Lachse.
    Die Finnen errichteten ein Lager und machten sich daran, zwei Flöße zu bauen. Sie banden den Bären an einer dicken Kiefer fest und forderten die Dorfleute auf, ihre Hunde nicht frei herumlaufen zu lassen, damit sie den Bären nicht reizten. Die Männer des Dorfes halfen beim Bau der Kieferflöße. Bei der Arbeit war der Ochse von großem Nutzen, er zog die Stämme ans Flussufer. Schließlich tauschten die Finnen ihn gegen Proviant ein, und er konnte sich endlich in einem Stall ausruhen.
    Die Dorfleute wussten davon, dass Ukonjärvi einen Fischereistützpunkt am Weißen Meer unterhielt und mehrere Segelschiffe besaß, die zum Fischen bis in die
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