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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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nun sorgte eine Pasto­ rin auf der Kanzel für den Druckausgleich.
    Seppo Sorjonen öffnete auch ein wenig den vorderen Rand des Zwerchfells und den Herzbeutel, das Pericar­ dium, wodurch das pulsierende Herz des Bären sichtbar wurde. Er tastete die Kranzarterien ab und fand sofort ein paar verhärtete Stellen, also die untrüglichen Zei­ chen für die Erkrankung. Bei einer Bypassoperation gehe es gerade darum, an diesen erkrankten Arterien gesunde vorbeizuführen, erklärte er seinen Hilfskräften, die mit einer Mischung aus Entsetzen und Neugier auf das zuckende Herz des Tieres starrten.
    Sorjonen trennte mehrere fünf Zentimeter lange Stü­ cke aus der Beinvene. Drei Bypässe mussten gelegt werden, erforderlich waren also drei Venenstücke und insgesamt sechs Nähte. Beim Menschen betrug der Durchmesser der Sehnen etwa drei bis fünf Millimeter, wie Sorjonen wusste, dieser Patient jedoch hatte sieben Millimeter dicke Sehnen.
    Als alles für die wichtigste Phase der Operation bereit war, wurde das Herz des Patienten zum Stillstand ge­ bracht. Das geschah einfach dadurch, dass mit einem Eisbeutel die Temperatur abgesenkt wurde, sodass das Herz immer langsamer schlug, bis es ganz stehen blieb. Rasch legte Sorjonen die Bypässe, dabei wurden die offenen Venen mit eigens angefertigten Wäscheklam­ mern, die an den Innenseiten weich gefüttert waren, abgedrückt.
    Die Arbeit war anstrengend und verlangte äußerste Konzentration. Außerdem musste Sorjonen sich beeilen, denn allzu lange durfte das Herz des Patienten nicht still stehen. Henna Toropainen-Heikura wischte dem Chirur­ gen den Schweiß von der Stirn. Severi Horttanainen ging in die Sakristei, um zur Beruhigung eine Zigarette zu rauchen. Die jüngeren Gehilfen reichten Sorjonen die Instrumente. Nachdem er die Bypässe noch einmal sorgfältig kontrolliert hatte, ließ er den Eisbeutel entfer­ nen, nähte den Herzbeutel zu und registrierte, dass der Herzmuskel wieder zu zucken begann. Die kritischste Phase der Operation war vorbei.
    Zuschauerin bei dieser feierlichen und spannenden Aktion war eine kleine Kirchenmaus, vielleicht eine Nachfahrin jener Maus, die einst in Asser Toropainens Pelzmütze nach Ukonjärvi gelangt war. Wie dem auch sei, das Mäuschen, das durch einen Türspalt aus der Sakristei in den Saal lugte, kam, neugierig und von den interessanten Gerüchen angelockt, näher, es huschte an der Wand entlang und dann im Schutz der Kirchenbän­ ke bis unter den Operationswagen. Dort lagen Spritzer von frischem Bärenblut, die das Mäuschen schnell und ungeniert aufleckte. Es war ein mutiges und blutrünsti­ ges Mäuschen und hatte es nicht eilig, wieder in die Sakristei zu gelangen.
    Der Holzstab, der den Brustkorb des Bären offen gehalten hatte, wurde entfernt und die Höhle zugenäht. Nur der Schlauch, durch den das Blut abfloss, blieb vorläufig noch darin. Tuirevi Hillikainen konnte mit dem Blasen aufhören. Mit feuerrotem Gesicht wankte sie von der Kanzel.
    Seppo Sorjonen prüfte den Blutdruck des Bären, der sich langsam normalisierte. Er beobachtete den Puls und die Atmung, und am Nachmittag konnte er feststel­ len, dass die Operation allem Anschein nach geglückt war. Mit vereinten Kräften schob das Operationsperso­ nal den Karren aus der Kirche und weiter in die Scheu­ ne, wo am Dachbalken ein Tropf installiert wurde. Der Bär selbst blieb für alle Fälle noch gefesselt. Für die Nachtstunden organisierte Seppo Sorjonen eine Bewa­ chung für den Fall, dass sich der Zustand des Patienten veränderte.
    Am folgenden Morgen war der Bär aus der Narkose erwacht. Er war äußerst schlecht gelaunt. Seppo Sorjo­ nen wunderte sich kein bisschen darüber, denn nach solchen Eingriffen litten die Patienten oft an schweren Depressionen, und der Grund dafür war Sauerstoffman­ gel im Gehirn während der Operation. Aus der Depressi­ on würde jedoch tierische Freude werden, würde der Bär erst seine gestiegene Leistungsfähigkeit und verbesserte Lebensqualität wahrnehmen.
    Seppo Sorjonen ordnete Beeren- und Pflanzennah­ rung an, denn nach einer Herzoperation soll der Patient Cholesterol meiden. Nach etwa zwei Wochen könnten die Fäden gezogen, der Bär aber noch nicht in den Wald entlassen werden, denn auch nach einer geglückten Operation ist körperliche Arbeit für vier Wochen verbo­ ten.
    40
    Eemeli und Taina Toropainen kehrten ziemlich nieder­ geschlagen von ihrer vergeblichen Helsinki-Tour zurück. Die Fahrt war anstrengend
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