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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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den Weltunter­ gang erlebt. Auf die Fragen, die gestellt wurden, wusste
    Eemeli Toropainen nur die Antwort, dass trotz allem, was geschehen war, in Ukonjärvi alles beim Alten bleibe. Die Rundfunkstationen hatten ihre Sendungen einge­ stellt, von der übrigen Welt war kein Mucks zu hören, aber die Idylle von Ukonjärvi hatte keinen Schaden genommen. Eemeli fand, dass man mit den Weihnachts­ vorbereitungen beginnen solle, so als ob nichts gesche­ hen wäre.
    Das Weihnachtsfest, das folgte, wich insofern von den vorhergehenden ab, als das Wetter warm und frühlings­ haft war. Anfang Dezember schmolz das Eis auf den Seen. Zu Advent zeigten sich die ersten Weidenkätzchen, und in der Vorweihnachtswoche kamen die Bachstelzen nach Ukonjärvi. Die Ranunkeln begannen zu blühen. Am Heiligabend sangen die Kinder ein schönes altes Weihnachtslied:
    Ist denn jetzt der Sommer da,
    in des Winters Mitte…?
    Am Stephanstag wurden die ersten Schwalben gesich­ tet. Sie bauten sich unter der Dachtraufe der Kirche ihre Nester und sangen aus voller Kehle. Das Gras auf dem Kirchenhügel wurde grün. An alldem war zu erkennen, dass die Weltbücher durcheinander geraten waren, aber zumindest für Ukonjärvi war das Ergebnis durchaus nicht übel.
    Aufgrund der gravierenden Wetteränderung beschloss Eemeli Toropainen, dass man anstelle von Silvester das traditionelle finnische Mittsommerfest feiern sollte. Am Seeufer wurde ein besonders großes Feuer abgebrannt. Aus allen Dörfern der Gemeinde strömten die Einwohner herbei. Man aß kleine Maränen in Brotteig und trank Bier. Gesprochen wurde unter anderem über den Lauf der Welt.
    Die Feier entsprach den guten alten Traditionen, ab­ gesehen davon, dass die Sonne nicht an der üblichen Stelle unterging, sondern um fünfzig Grad entgegenge­ setzt, nämlich im Südsüdwesten. Nachdem sie für eine kurze Sommernacht hinter dem Horizont verschwunden war, ging sie keineswegs im Osten so wie früher, son­ dern fast im Nordnordwesten auf. Die Kirche warf ihren Schatten auf den See, während er vorher um diese Zeit den Friedhof bedeckt hatte. Jetzt hingegen badete der Gottesacker im Licht der aufgehenden Sonne.
    Die Leute wunderten sich nicht groß über diese Ver­ änderungen. Sie fanden vielmehr, dass es Wichtigeres auf der Welt zu tun gebe, als Sonnenaufgänge zu beglot­ zen. Gleich nach Mittsommer zogen sie hinaus, um die Felder zu bestellen. Es war höchste Zeit, denn es herrschte bereits Hochsommer.
    Im übrigen Europa war die Situation anders. Ein Welt­ untergang hinterlässt seine Spuren. In Montparnasse in Paris stand das Wasser sechs Meter hoch. Meeresfische schwammen auf den Straßen und in den Bistros herum. Zwei Dorsche mit ausdruckslosen Mienen studierten die vom Wasser aufgeweichte Speisekarte eines Fischre­
    staurants, auf der »Frittierter Dorsch für zwei Personen« zum durchaus günstigen Preis von 23 Euro angeboten war.
    Es war das Jahr 2023. Aus der Richtung der ehemali­ gen Seine waren abgehackte Motorgeräusche zu hören. Aus dem Nebel tauchte eine faltige und enttäuscht wirkende Pariserin in einem kleinen Boot auf, das einen uralten Außenbordmotor der Marke Arlette hatte. Die Frau überquerte die ehemaligen Straßen des Pariser Zentrums und bog in Richtung Montmartre ab. Der Nebel hüllte sie ein, und es war sehr kalt.
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