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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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gewesen und hatte nichts gebracht. In Ukonjärvi herrschte die übliche Geschäftig­ keit, die Leute waren bei den Herbstarbeiten auf dem Feld oder fischten mit dem Zuggarn im See. Die Hunde begrüßten die Ankömmlinge mit Gebell, und als Taina und Eemeli auf dem Weg zum Haus an der Scheune vorbeikamen, hörten sie von drinnen das Gebrüll eines Bären.
    Vor der Scheune saßen mehrere Männer beisammen und beratschlagten, ob der Bär geschlachtet werden sollte oder nicht. Sie berichteten Eemeli, dass Seppo Sorjonen in seiner Abwesenheit eine in jeder Weise gelungene Bypassoperation bei einem Bären, der im Dorf aufgetaucht war, vorgenommen hatte. John Matto und etliche andere waren dafür, den Bären zu töten, aber Sorjonen wollte gern den Heilungsprozess noch ein paar Wochen beobachten. Außerdem fand er, dass es Verschwendung wäre, einen Patienten zu töten, den man mit so viel Aufwand von seinen Beschwerden ge­ heilt hatte.
    Seppo Sorjonen besann sich auf Eemelis Operation und fragte, wie diese in Helsinki verlaufen sei. Der Patient sei offenbar zeitig entlassen worden und sehe im Übrigen nicht besser aus als bei seiner Abfahrt. Eemeli sagte lakonisch, dass die Stadt völlig verkommen sei und dass es nicht lohne, dort zum Arzt zu gehen.
    Sorjonen erklärte sich sofort bereit, Eemeli zu operie­ ren. Der Bär sei ein lebendes Beispiel für seine Kunst.
    Eemeli ging in die Scheune, um sich den Patienten anzusehen. Dieser lag auf Stroh und war mit Riemen an den Wandbalken festgebunden. Zu fressen bekam er hauptsächlich Pilze und Beeren, von denen die Wälder zu dieser Jahreszeit voll waren. Gerade hatte er ein paar Kilo Aalraupen vor sich liegen, die ihm anscheinend schmeckten. Sorjonen erklärte, dass man ihm noch kein Fleisch gebe, da er Cholesterol meiden müsse. Der Bär schien in guter Verfassung zu sein. Er brummte, wie es für seine Art typisch war, schien aber nicht sehr unter seiner Gefangenschaft zu leiden. Wenn der Bär Sorjo­ nens Operation überlebt hatte, dann würde er selbst sie vielleicht auch durchstehen, dachte Eemeli bei sich.
    Zunächst wurde gemeinsam über das Schicksal des Bären entschieden. Er sollte am Leben bleiben, aber nicht in der Nähe von Ukonjärvi ausgesetzt werden. Auch John Matto war schließlich mit dem Vorschlag einverstanden: Man würde ihn auf irgendeine Weise nach Russland schaffen, wo er vermutlich sogar her­ stammte.
    Eemeli entwickelte den Plan, ihn zum Weißen Meer zu bringen. Ukonjärvis dortiger Fischereistützpunkt müsste ohnehin im Herbst mit Nachschub, also mit Seilen, Material zum Netzflicken und mit Schnaps und Tee für die Fischer, beliefert werden. Bei der Gelegenheit könnte man den Bären mitnehmen. So könnte sich der Petz in den heimischen Wäldern von der Operation erholen und sich vor Einbruch des Winters dick und rund fressen.
    Taina gesellte sich zu den Männern und bestürmte Seppo Sorjonen, Eemeli zu operieren. Sie hatte im Lager der Chirurgischen Klinik von Helsinki die Ampullen besorgt, die Sorjonen haben wollte, und die könnte er für Eemelis Betäubung verwenden. Die Mischung aus Fliegenpilzextrakt, Äther und Spiritus mochte vielleicht für einen Bären geeignet sein, jedoch nicht für einen Menschen, und zumindest ihrer Meinung nach sah Eemeli mehr wie ein Mensch aus. Der Einsatz dieses Betäubungsmittels hätte zusätzlich den Vorteil, dass dann beim Patienten keine künstliche Beatmung vorge­ nommen werden musste. Taina hatte außerdem eine Rolle von dem hauchdünnen Nylongarn mitgebracht, das in der Herzchirurgie gebraucht wurde. Sie über­ reichte Sorjonen das Material, und er bedankte sich gerührt.
    An diesem Abend gingen Eemeli Toropainen und Sep­ po Sorjonen zusammen in die Sauna. Der Arzt schrubb­ te Eemeli den Rücken und untersuchte ihn. Sie mach-ten nur leichte Aufgüsse und redeten ein ernstes Wort miteinander. Als sie dampfend herauskamen, sahen sie noch einmal nach dem Bären und gingen dann ins Haus. Die Entscheidung über die Operation war gefal­ len. Seppo Sorjonen gab den Frauen Anweisungen, was Eemeli an diesem Abend und am nächsten Morgen zu essen bekommen solle. Am nächsten Tag nämlich werde bei dem Stiftungsdirektor eine Bypassoperation vorge­ nommen.
    Der Eingriff erfolgte in Sorjonens Krankenhaus. Der dortige Operationsraum war wesentlich besser geeignet als die Kirche. Der Operateur stellte dank seines Übungsfalles fest, dass sich ein finnischer Mann nicht sehr von einem Bären unterschied, wenn man
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