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Nördlich des Weltuntergangs

Titel: Nördlich des Weltuntergangs
Autoren: Arto Paasilinna
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war.
    Eemeli Toropainen fragte den Amtsleiter in scharfem Ton, ob es im Baugesetz einen speziellen Paragraphen über Gotteslästerung gebe.
    »Nicht direkt, und darum geht es hier im Grunde auch gar nicht. Dennoch: Wenn Sie die Bauarbeiten nicht einstellen, muss ich die Polizei einschalten«, er­ klärte der Mann, während er sich zum Gehen wandte. Eemeli Toropainen begleitete ihn mit dem Beil in der Hand zum Auto. Der Amtsleiter fuhr vom Gelände, als gelte es, die Spezialstrecke einer Rallye in Angriff zu nehmen.
    Kurz darauf traf ein Taxi ein, dem Eemelis Ex-Frau Henna Toropainen geborene Leskelä, entstieg. Sie traf ihren Mann in ziemlich erregtem Gemütszustand an. Nachdem sie vom Fahrer ein paar Koffer entgegenge­ nommen hatte, trat sie zu Eemeli, um ihn zu begrüßen. Scheu gab sie ihm einen Kuss und umarmte ihn. Dann bat sie ihn, das Beil aus der Hand zu legen.
    Eemeli fragte, warum sie gekommen sei, ob sie zu Hause in Vääksy Langeweile habe.
    »Du hast mich doch selbst am ersten Mai angerufen und mich angefleht, zu Mittsommer hier herauszukom­ men und mir die Baustelle anzusehen. Und morgen ist Mittsommerabend. Ich kann allerdings auch wieder wegfahren, wenn man mich hier mit dem Beil bedroht.«
    Ein kleiner nebelhafter Erinnerungsfetzen tauchte in Eemeli Toropainens Gehirn auf. Am ersten Mai in Nur­ mes war es… ja, was war eigentlich gewesen? Er wusste nicht mehr viel von dem Tag. Er hatte also seine Ex-Frau angerufen? Nun, ein Mann steht zu seinem Wort.
    Eemeli wies den Gehilfen Taneli Heikura an, das Ge­ päck seiner Frau in die Sakristei zu tragen. Routiniert richtete sie sich dort ein, sie machte das Feldbett zu­ recht und stellte ihren Schminkkoffer und die anderen persönlichen Sachen in den Schrank, der in die hintere Wand eingebaut war. Dann entnahm sie ihrer Handta­ sche einen Reisespiegel, den sie schräg auf das Fenster­ brett stellte. Geübt zog sie die Lippen nach, stäubte sich ein wenig Puder auf die Wangen und kam dann wieder heraus, um zu bewundern, was ihr Ex-Mann zuwege gebracht hatte.
    Eemeli ging eigens mit ihr die hundert Meter zum Seeufer hinunter, damit sie aus der Entfernung den Bau in seiner ganzen Schönheit betrachten konnte. Er er­ klärte ihr die Details und erzählte ihr von dem ostbott­ nischen Kirchenbauer Antti Hakala, der ihm die Vorlage geliefert hatte.
    »Diese Kirche wird etwas kleiner als die von Kuortane, aber dafür hat sie geradere Wände.«
    Bis zum Abend arbeiteten alle fleißig, und dann berei­ teten sie sich darauf vor, am nächsten Tag Mittsommer und den im Rohbau fertig gestellten Tempel des Herrn zu feiern. Als Herr galt in diesem Zusammenhang noch der im Frühjahr verstorbene Asser Toropainen.
    5
    Am Mittsommerabend wurde am Ufer des Sees ein riesiges Feuer abgebrannt, die Arbeiter hatten dafür die Holz- und Balkenreste aufgeschichtet. Aus den umlie­ genden Dörfern kamen zahlreiche Einwohner zum See, um ebenfalls Mittsommer zu feiern und das neue Ge­ bäude zu bewundern. Der weiß schimmernde Kirchen­ rohbau spiegelte sich auf der stillen Wasseroberfläche wider, das knisternde Feuer schickte seine Funken hoch in den hellen Sommernachthimmel hinauf, und noch ehe der Holzstoß verkohlt war, ging die nimmermüde Mittsommersonne auf und vergoldete die Wipfel der jahrhundertealten Kiefern auf dem Kirchenhügel.
    Unmittelbar nach dem Fest reiste Eemeli Toropainens Ex-Frau in ziemlich gereizter Stimmung ab. Womöglich wurde ihr Aufbruch durch das Gerücht beschleunigt, dass Eemelis verständnisvolle Wirtin aus Vantaa beab­ sichtige, zur Baustelle zu kommen, um nach ihrem Untermieter zu sehen.
    Woher stammte diese Behauptung? Wie entstehen Gerüchte überhaupt, wie beginnen sie zu leben, zu wandern, zu wirken? Die boshafte Rede ist wie ein Bazil­ lus, der von einem Menschen zum anderen springt, das jeweilige Objekt vergiftet und dann weiterzieht. Sie ist wie ein Missgeschick, das in Umlauf gesetzt wird, und jeder, der mit ihm zu tun bekommt, versucht es zu bekräftigen und zu beschleunigen, um es loszuwerden. Am Ende nimmt die boshafte Rede so gewaltige Ausma­ ße an, dass niemand mehr sie glaubt.
    In diesem Falle stimmte das Gerücht: Frau Taina Ko­ rolainen, eine vierzigjährige Zugreinigungschefin, ge­ schieden und Mutter zweier erwachsener Kinder, heuer­ te bald nach Mittsommer als Köchin auf der Baustelle an. Sie erklärte, dass sie sich für den ganzen Sommer habe beurlauben lassen und dass sie die Absicht habe, Eemeli unter den
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