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Noch einmal leben

Noch einmal leben

Titel: Noch einmal leben
Autoren: Robert Silverberg
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breitete die Arme aus und atmete tief ein. Der Blick nach unten ließ sie nicht schwindelig werden, auch nicht, als sie sich über das Geländer beugte. Sie fragte sich, wie wohl ein Passant reagieren würde, wenn er zufällig nach oben starrte und das Gesicht und die nackten Brüste Risa Kaufmanns sah, die über den Rand der Terrasse hinaushingen. Aber niemals sah jemand hoch, und überhaupt, von dort unten konnte man ohnehin nichts erkennen. Auch stand rund herum kein anderes Gebäude, das hoch genug war, um sie von dort auszumachen. Sie konnte sich hier so nackt hinstellen, wie es ihr Spaß machte; sie blieb völlig ungestört. Dennoch hoffte sie insgeheim, jemand könnte sie so sehen. Etwa ein vorbeifliegender Hubschrauberpilot, der tief genug flog und ein Looping durchführte, sobald er das versteckte nackte Mädchen auf der Terrasse entdeckte.
    Risa lachte. Das Gebäude gehörte zum Paul-Kaufmann-Nachlaß. Sobald sein letzter Wille verlesen worden war, würde Risas Vater, Pauls Neffe und Haupterbe, den gesamten Besitz übernehmen. Und eines Tages, dachte das Mädchen, wird dieses Gebäude mir gehören.
    Sie ließ ihr Haar frei im Morgenwind wirbeln.
    Risa war ein großes Mädchen – fast einen Meter achtzig – und besaß einen schlanken, beweglichen Körper, dunkle, funkelnde Augen, schwarzes Haar und eine Nase, die sie gern für unverfälscht semitisch hielt. Sie gefiel sich darin, sich als jemenitische Jüdin auszugeben, als lebendige Tochter der Wüste, eine direkte Nachfahrin von Abraham und Sarah. Und sie sah wirklich wie eine Beduinenprinzessin aus. Aber die traurige genetische Wahrheit besagte, daß die Vorfahren der Kaufmanns im zwanzigsten Jahrhundert in London, im neunzehnten in Stuttgart und im achtzehnten in Kiew gelebt hatten. Davor verlor sich der Name Kaufmann in den endlosen ländlichen Weiten Rußlands. Dennoch klammerte sie sich an die Legende von ihrer Abstammung. Mit durchgedrückten Knien begann Risa mit den Fingerspitzen schnell die Zehen zu berühren. Hopp und hopp und hopp. Wenn es sein mußte, schaffte sie das hundertmal hintereinander. Ihre kleinen Brüste hüpften und tanzten, wenn sie sich hinabbeugte: auf, nieder, auf, nieder. Risa war wirklich froh darüber, daß ihr nicht ein paar überschwere, schlaffe Brüste gewachsen waren, obwohl großer Busen in der letzten Zeit wieder modern wurde. Sie liebte engsitzende Kleidung und war der Ansicht, daß kleine, mädchenhafte Brüste das Auge des Betrachters mehr erfreuten als ein voller, schwerer Busen. Natürlich konnten ihre Brüste im Lauf der Jahre noch wachsen, aber sie glaubte nicht recht daran. Seit ihrem vierzehnten Lebensjahr war sie weder in die Höhe noch in die Breite oder sonstwo sehr viel gewachsen. Hopp, hopp, hopp. Sie legte sich auf die Terrasse. Kalter Boden unter Rücken und Po. Sie radelte mit den Beinen in der Luft.
    Es wäre vielleicht gar nicht so uninteressant, dachte sie, einmal einen großen Busen zu haben. Zu erfahren, wie es sich anfühlt, solche Fleischberge unter den Schlüsselbeinen zu tragen. Risa notierte sich in Gedanken, für ihre erste Transplantation das Bewußtsein eines enorm vollbusigen Frauenzimmers zu beantragen. Dann könnte sie anhand der neu gewonnenen Erinnerungen einen Eindruck bekommen, wie es sich mit solchen Dingern lebte, ohne dabei gleichzeitig das lästige Gewicht mit sich herumschleppen zu müssen.
    Aber wann ist meine Transplantation fällig?
    Das war der frustrierendste Teil am Problem. Mit sechzehn war sie im medizinischen Sinne alt genug für den Scheffing-Prozeß, aber noch nicht voll rechtsfähig, um eine Transplantation allein zu beantragen. Dazu brauchte sie die Einwilligung ihres Vaters. Da war es im letzten Jahr wesentlich einfacher gewesen, als sie entschieden hatte, es sei nun an der Zeit, ihre Jungfräulichkeit zu verlieren. Risa war einfach in eine Rakete nach Cannes gestiegen, hatte sich einen ansprechenden Kerl gesucht und sich ihm hingegeben. Aber ohne Einwilligungserklärung des Vaters würde man sie aus der Seelenbank hinauswerfen, ob sie nun eine Kaufmann war oder nicht.
    Sie sah über die Schulter und bemerkte einige Gestalten hinter der Glasschiebetür zwischen Wohnzimmer und Terrasse.
    Risa stand auf. Ihr Vater kam auf sie zu. Seine Freundin Elena Volterra, die italienische Schlampe, war bei ihm. Lächelnd lehnte sie sich an die Terrassenwand und wartete darauf, daß die beiden zu ihr heraustraten.
    Ihr Vater trug eine Art Sprayon-Geschäftsanzug, ein schickes
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